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Gesellschaft & Religion Die dunklen Stasi-Geschäfte in der Schweiz

Offiziell warnten Schweizer Behörden und Politiker vor dem «Unrechtsstaat» DDR. Hinter den Kulissen arbeitete man der DDR im Kalten Krieg aber massgeblich zu. Diese Schweiz zeigt Journalist Ricardo Tarli in seinem Buch: Ein Eldorado für Stasi-Agenten, Schwarzhändler und Technologieschmuggler.

Die Schweiz war wirtschaftlich eng mit der DDR verbunden. Enger, als offiziell bekannt ist. Dies geht aus dem Buch «Operationsgebiet Schweiz» von Ricardo Tarli hervor. Er zeigt darin auf, dass das Ministerium für Staatssicherheit, die Stasi, nicht nur die eigene Bevölkerung überwachte, sondern auch profitorientierte Geschäfte im grossen Stil betrieb. Inkognito, versteht sich.

Buchhinweis

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Ricardo Tarli: «Operationsgebiet Schweiz. Die dunklen Geschäfte der Stasi». Orell Füssli, 2015.

Ricardo Tarli schöpft aus dem Vollen: Er hat im Schweizerischen Bundesarchiv und in der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin so viel Material zu den geheimen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der Schweiz und der DDR ans Licht geschafft, dass es kaum zwischen zwei Buchdeckel passt. So erfährt man nun in seinem Buch, wie sich Technologieschmuggler, Waffenschieber und Geldwäscher organisiert haben, um die DDR mit Embargogütern und Devisen zu versorgen. Die Schweiz spielte dabei eine wichtige Rolle.

Geheimer Firmenkomplex KoKo

Im Zentrum der verdeckten Handelsbeziehungen zwischen den beiden Staaten stand eine geheime Organisation in Ostberlin. Sie war mit der kokett anmutenden Abkürzung KoKo versehen, was für «Kommerzielle Koordinierung» stand. Es handelte sich um ein Firmenkonglomerat, das zu den wichtigsten wirtschaftlichen Institutionen der DDR gehörte. Die KoKo umfasste rund 160 Firmen im In- und Ausland, die nach kapitalistischer Manier Profit erwirtschaften sollten. Der streng abgeschirmte Wirtschaftsapparat wurde von Alexander Schalck-Golodkowski geführt. Er war Stasi-Offizier im Range eines Obersts und unterstand direkt dem Stasi-Chef Erich Mielke. Die Koko war also, so Ricardo Tarli, «der verlängerte ökonomische Arm der Stasi».

Über die KoKo wickelte die Stasi über die Schweiz Umgehungsgeschäfte mit westlichen Industrieländern ab. Zahlreiche Agenten waren in geheimer Mission unterwegs, um Güter zu verschieben und Devisen zu beschaffen. Damit kaufte die KoKo für die DDR Produkte ein, die das Land selber nicht herstellen konnte und die dem Embargo der NATO-Staaten unterlagen: Etwa computergesteuerte Werkzeugmaschinen oder elektronische Bauteile für die Computer- und Waffenindustrie. Mit hartem Westgeld kaufte die KoKo auch das Spionageequipment, das ihr zum Beispiel ein Zuger Geschäftsmann lieferte.

Eiserne Staatsreserve bei Zürcher Bank

Ricardo Tarli

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Ricardo Tarli, geboren 1978, studierte Zeitgeschichte in Freiburg i. Ü., Bern und Paris. Er lebt als freischaffender Journalist in Berlin. Er ist Autor des Buchs «Operationsgebiet Schweiz», das am 1. März 2015 erschienen ist.

Der geheime Stasi-Firmenkomplex KoKo diente auch dazu, in der Schweiz eine geheime eiserne Reserve für die DDR anzulegen. Dabei half die Zürcher Bank für Handel und Effekten, eine Tochtergesellschaft der Schweizerischen Kreditanstalt.

Ricardo Tarli beleuchtet in seinem Buch einige prominente Schauplätze, etwa das Tessin. Dort haben sich in einem Bürokomplex an der Via Generale Guisan in Lugano-Paradiso dubiose Geschäftsleute, Stasi-Strohmänner und Spione jahrelang die Klinke in die Hand gegeben. Zu den Machenschaften gehörten Technologieschiebereien, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, geheimer Devisentransfer nach Ostberlin und der Handel mit Antiquitäten dubioser Herkunft. Geführt wurde die Tessiner Stasi-Filiale vom deutschen Geschäftsmann Ottokar Hermann, der während des Nationalsozialismus Mitglied der Waffen-SS war.

Schweizer Bürgerrecht für ehemaligen SS-Mann und Stasi-Agenten

Als Stasi-Agent geriet Ottokar Hermann dann ins Visier des US-amerikanischen Geheimdienstes und des Bundesnachrichtendienstes. Auch der schweizerische Staatsschutz war auf dem Laufenden. Ricardo Tarli stellt aber mit Erstaunen fest, dass dies keine Konsequenzen hatte: Trotz des dicken Staatsschutzdossiers blieb Ottokar Hermann unbehelligt. Er lebte in einer Villa in Montagnola und war in der Schweiz so gern gesehen, dass er hier 1985 sogar das Bürgerrecht bekam.

Ricardo Tarli ist nicht der erste Autor, der auf die delikaten Verbindungen zwischen der Schweiz und der DDR aufmerksam macht. Sein Verdienst ist es aber, viele bisher noch unveröffentlichte Akten im Schweizerischen Bundesarchiv und in der Stasi-Unterlagenbehörde ausgewertet zu haben. Dabei hinterfragt er die Rolle des schweizerischen Staatsschutzes während des Kalten Kriegs.

Seine Recherchen sind umfangreich und sehr detailliert. So fallen viele Namen von Tarnunternehmen und Briefkastenfirmen, von Strohmännern, Zürcher Bankern, eilfertigen Zuger Anwälten und namhaften Politikern – vom Berner alt Bundesrat Adolf Ogi (SVP) bis hin zum Zuger alt Ständerat Rolf Schweiger (FDP).

Mauer des Schweigens

Alle im Buch genannten Personen hat der Autor um eine Stellungnahme gebeten. Die Antworten sind dünn aufgefallen. Viele Befragten geben an, sie würden sich nicht mehr erinnern, sie hätten ganz «normale» Geschäfte getätigt oder von den Machenschaften der Stasi nichts gewusst – wenn sie überhaupt geantwortet haben. Ricardo Tarli sagt, es gebe eine Mauer des Schweigens. Das fehlende Bewusstsein für die Problematik sei bemerkenswert.

Die Stärke des Materials ist zugleich auch die Schwäche des Buchs: Die vielen Fakten wirken zuweilen erschlagend. Ein besseres Lektorat wäre wünschbar gewesen. Denn so viel heissen Stoff zum Kalten Krieg und zu den heiklen Beziehungen zwischen der Schweiz und der DDR gab es schon lange nicht mehr.

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