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Gesellschaft & Religion Die Kulturszene im Irak lebt – doch frei ist sie nicht

Die Kultur hat im Irak in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Doch die Arbeit der Kulturschaffenden in Bagdad wird vom Krieg und dem täglichen Terror bedroht. Der gebürtige irakische Autor Najem Wali und die Korrespondentin Inga Rogg berichten.

Wer die Geschehnisse im Irak verfolgt, erhält das Bild eines Landes, das im Chaos versinkt – anarchisch und brutal. Im vergangenen Jahr kamen rund 8000 Zivilistinnen und Zivilisten bei Bombenattentaten ums Leben, 60‘000 wurden verletzt. Dazu kommt die psychische Traumatisierung. Ein Opfer von Terror und Krieg ist immer auch die Kultur. Man denke zum Beispiel zurück, als nach dem Sturz Saddam Husseins Plünderer und Vandalen durch das irakische Nationalmuseum zogen. Wie sieht die Situation für Kulturschaffende heute aus? Wie steht es um Kunst, Theater und Musik im Irak?

Wie Russisch Roulette

Der Alltag im Irak sei geprägt von Terror, erzählt der 57-jährige Autor Najem Wali. Er kam in Bagdad zur Welt und lebt seit den 80er-Jahren in Europa, momentan in Berlin. Er ist besorgt: «Alle sagen das sei wie Russisch Roulette. Wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, könnte es knallen.»

Najem Wali ist ständig in Kontakt mit seinen Eltern und Schwestern, die im Irak leben. Er folgt dem Geschehen über Zeitungen, Online-Medien oder Facebook und reist auch selber immer wieder in den Irak und besucht Familie und Freunde. «Die Leute sind abgestumpft. Wenn ich da bin und Angst habe, dass neben mir eine Autobombe explodiert, werde ich ausgelacht.» Der Terror sei in Bagdad quasi zur Normalität geworden. Für den Autor eine beängstigende Vorstellung. Die bewegte Geschichte des Iraks, der politische und kulturelle Zerfall ist denn auch Thema im Werk von Najem Wali. Im kommenden März erscheint sein neuester Roman in deutscher Übersetzung: «Bagdad Marlboro».

Gegen Fanatismus, gegen Selbstmordattentate

Najem Wali schreibt regelmässig Kolumnen für arabische Zeitungen – vor allem gegen Fanatismus oder Selbstmordattentate. Damit hat er sich viele Feinde gemacht. Die Liebe zu seiner Heimat hat er deswegen aber nicht verloren und hofft auf friedlichere Zeiten. «Ich bin von Grund auf optimistisch. Irgendwann werden wir Frieden haben. Momentan fehlt es aber an Politikern, die den richtigen Weg einschlagen. Vielleicht bringen die Wahlen im 2014 etwas. Aber momentan sehe ich keinen Ausweg.»

Eine lebendige Szene

Die Journalistin Inga Rogg hat lange aus dem Irak berichtet, unter anderem für die NZZ und für Radio SRF. Sie erlebte eine neue Blüte des Kulturlebens, vor allem in Bagdad, mit vielen Kulturveranstaltungen, Theateraufführungen oder Filmvorführungen. «Die Künstler und Literaten versuchten, an die grosse Tradition, die Bagdad einst hatte, anzuknüpfen», sagt Rogg. Zwar sei die Kinokultur zum Erliegen gekommen, aber es gebe Filmemacher, in Bagdad findet einmal im Jahr ein Dokumentarfilmfestival statt.

Die Leute gingen auch wieder ins Theater, vor allem das Nationaltheater in Bagdad sei sehr wichtig. Daneben gab es Komödien, die an kleineren Theatern aufgeführt wurden. Man findet in Bagdad auch Galerien und die berühmte Mutanabbi-Strasse, wo Bücher verkauft werden. «Dort treffen sich jeden Freitag Kulturschaffende im Shabanda-Café, einem bekannten Ort zum Austausch. Es ist eine sehr lebendige Szene», so Rogg.

Rockmusik ist unerwünscht

So positiv sich die Szene in den letzten Jahren entwickelt hat, die Kultur ist gefährdet – was ohnehin brüchig war, droht wieder wegzubrechen. «Durch die extreme Gewalt werden Kulturschaffende zur Flucht gedrängt. Gewisse Szenen, etwa Rockmusiker, haben kaum eine Möglichkeit, im Irak zu arbeiten oder zu musizieren. Diese Form der Kunst ist unerwünscht, auch von den religiösen Parteien, die an der Macht sind», erzählt Rogg.

Ein weiteres Problem: Kultur im Irak bedeutet, vom Staat abhängig zu sein. Es sei zwar wie schon früher unter Saddam Hussein möglich, sich in der staatlich finanzierten Kunst Nischen zu schaffen. Aber eine freie Kulturszene, wie wir sie hier kennen, gebe es im Irak nicht. «Die hat es sehr schwer. Es gibt so etwas, aber ich nenne es eher Untergrundszene. Es tun sich Künstler zusammen aus Notwendigkeit, weil sie keine finanziellen Mittel bekommen», so Rogg.

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