Capri kennt man. Genau wie Cortina d’Ampezzo in den Dolomiten. Und vielleicht auch Forte dei Marmi: Das Städtchen an der Küste der Toskana hat sich auch noch einen exklusiven Charme erhalten könnten.
Alle drei sind klingende Namen für Orte der italienischen Sommerfrische. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts machten dort die Reichen und Schönen Ferien und errichteten sich prächtige Sommervillen.
Wer kennt schon Ronchi?
Ronchi und der Ortsteil Poveruomo, nicht weit von Forte dei Marmi entfernt, ist auch heute noch den meisten Italienerinnen und Italienern kein Begriff. Jetset-Trubel wie anderswo gab es hier nie.
In Ronchi war und ist Understatement angesagt. Wer hier im Sommer Ferien macht, hat es einfach nicht nötig, mit seinem Reichtum zu protzen und seinen sozialen Status in die Welt hinauszuposaunen.
Um 1900 kamen in den Sommermonaten einige bekannte italienische Germanistinnen nach Ronchi. In einfachen Ferienhäusern inmitten eines ausgedehnten Waldes aus mächtigen Schirm-Pinien, die bis direkt an die Küste reichen, verbrachten sie die Sommermonate.
Baden und arbeiten war angesagt. Thomas-Mann-Übersetzerin Lavinia Mazzucchetti konnte sogar den grossen deutschen Schriftsteller nach Ronchi locken.
Bauhaus auf Italienisch
In den 1930er- und 1940er-Jahren wurde Ronchi bei Intellektuellen in. Verlegerinnen, Schriftsteller, Malerinnen und Industrielle vom In- und Ausland liessen sich moderne und komfortable Ferienhäuser errichten: von Architekten, die damals angesagt waren. Einige von ihnen haben noch heute einen Namen: Gio Ponti, Tomaso Buzzi und Aldo Rossi, zum Beispiel.
Im Unterschied zum Dritten Reich war der funktionale Baustil des Weimarer Bauhaus im faschistischen Italien nicht verpönt. Dieser Stil wurde, mit italienischen Anpassungen, Rationalismus genannt.
Kubenförmige Villen entstanden – schmucklos, weiss und immer angereichert mit typischen italienischen Bauelementen für klassische Landvillen, etwa mit Bogengängen und grosszügigen Loggien.
Sommerfrische der Antifaschisten
Hausherren waren in der Mehrheit erklärte Antifaschisten. Das konnten sie unter dem Duce ohne verfolgt zu werden. Voraussetzung war, dass sie keine offene Kritik übten.
Und so machten bis Ende des Faschismus prominente Antifaschisten unbehelligt vom Regime Ferien in Ronchi. Darunter die Schriftsteller Ignazio Silone und Walter Benjamin, Eugenio Montale und viele andere.
In der Minderheit waren die erklärten Faschisten in Ronchis Sommerfrische. Unter ihnen ein ganz strammer deutscher Faschist, der Soziologe Robert Michels. Er lehrte an der faschistischen Universität in Perugia und erholte sich in Ronchi.
In den vergangenen Jahren verfielen einige der Villen. Familien kamen nicht mehr in die Ferien hierher. Seit einiger Zeit werden diese Gebäude restauriert, mit Hilfe der Vereinigung der «Freunde von Ronchi».
Herausgegeben wurde ein schöner Bildband mit den einzelnen Villen und ihren Geschichten. Die ideale Sommerlektüre zu einem architektonisch interessanten Ferienort, der leider in keinem Reiseführer Erwähnung findet.