Zum Inhalt springen

Die Schweiz 1968 Als der Zwetschgenkuchen dem Megafon wich

«1968» ist eine Chiffre für eine ganze Epoche. Wie diese Zeit die Schweiz bewegte, zeigt eine neue Ausstellung im Bernischen Historischen Museum – lustvoll, niederschwellig und mit Tiefgang.

Braune, schwere Büffetschränke, Häkeldeckchen, ein Kaffeeservice, quastenbehängte Lampenschirme und an der Wand das Porträt von General Guisan: Wer die Ausstellung betritt, muss als erstes durch die «Spiesserhölle» gehen – eng, starr, konservativ.

Eine Frau schaut sich eine Rekonstruktion eines Zimmers aus den 60er Jahren
Legende: An vielen Orten der Schweiz war es auch 1968 noch ziemlich muffig (Ausstellungsansicht). Keystone

Trotz Wirtschaftswachstum und Fortschrittsglauben hat die «geistige Landesverteidigung» den Zweiten Weltkrieg überdauert. Das waren die 1950er- und 60er-Jahre in der Schweiz. Unter der niederen Decke in dieser nachgestellten muffigen Stube lebt der unverrückbare bürgerliche Konsens von damals wieder auf.

Weniger brachial als anderswo

«Grau: Das war die Grundstimmung. Man merkte: Eigentlich könnte man etwas mehr fragen, als gefragt wird. Man könnte ja anfangen zu leben!», erinnert sich einer der Zeitzeugen, die in der Ausstellung auf Videoscreens immer wieder zu Wort kommen.

Der damalige Generationenkonflikt leitete schliesslich um das Jahr 1968 die neuen Entwicklungen ein. Allerdings: Das geschah in der Schweiz etwas weniger brachial als in der übrigen westlichen Welt.

«Gut schweizerisch gedämpft»

Co-Kurator Fabian Furter erklärt, das habe viel mit der Vorgeschichte jener Zeit zu tun: «Wir hatten nicht wie in Deutschland eine Elterngeneration, wo vieles aus der Nazivergangenheit ungeklärt war. Wir hatten keinen Vietnamkrieg, wie er Amerika spaltete. Aber wir hatten halt diese Themen, auf ‹gut schweizerische gedämpfte Art›.»

Beim Rolling-Stones-Konzert im Zürcher Hallenstadion im April 1967 wurde das Mobiliar zerschlagen. Ein Jahr später, beim sogenannten Globuskrawall in Zürich, forderte die junge unzufriedene Generation ein autonomes Jugendzentrum und lieferte sich einen Strassenkampf mit der Polizei.

Zwei Polizisten ducken sich vor dem Wasserstrahl eines Wasserwerfers.
Legende: 29. Juni 1968: Polizisten ducken sich beim «Globuskrawall» in Zürich vor dem Wasserstrahl eines Wasserwerfers. Keystone

«... gescheiter dem Bruno einen Zwetschgenkuchen backen»

Auch der Kampf ums Frauenstimmrecht war lautstark. Männer und Frauen gingen wiederholt auf die Strasse. Zeitzeugin Barbara Gurtner, Jahrgang 1943, erinnert sich, wie das bei ihr zu Hause ankam: «Am Montag darauf war ein Bild von mir in der Zeitung mit dem Megafon. Meine Mutter und Tante schnitten das Bild aus, schrieben ‹Ach, du dumme Babe. Du würdest gescheiter dem Bruno einen Zwetschgenkuchen backen› darunter und schickten es mir.»

Demonstrationszug
Legende: 1. Februar 1968: ein friedlicher Demonstrationszug von Frauen in Richtung Zürcher Rathaus. Keystone

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: © Bernisches Historisches Museum, Bern. Foto Christine Moor

Die Ausstellung « 1968 Schweiz » im Bernischen Historischen Museum ist noch bis Juni 2018 zu sehen.

Lustvoll und niederschwellig führt die Ausstellung langsam an das Thema heran und mündet schliesslich in den grossen Hauptraum, der zur gründlichen Vertiefung einlädt. Mit unzähligen Dokumenten, Bildern, alten Filmaufnahmen und Zeitzeugeninterviews werden Themen ausgeleuchtet wie Gleichberechtigung, neue kreative Protestformen, das Leben in der Kommune, die sexuelle Befreiung und die damalige Rock- und Popmusik.

Was bleibt?

Das Historische Museum will mit der grossangelegten Schau eine Grundlage für eine gemeinsame nationale Erinnerungskultur zu dieser Epoche bieten. Das gelingt.

Damit können auch Fragen mit Blick auf heute gestellt werden: Was bleibt? Was waren die Folgen, die unsere Gesellschaft heute noch prägen – positive wie negative? Und: Wofür würden wir heute, 50 Jahre später, auf die Strasse gehen?

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 17.11.2017, 11.29 Uhr

Meistgelesene Artikel