Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Tod sind Verstorbene oft noch da – in den sozialen Medien. Vielmals werden ihre Profile – gewollt oder ungewollt – zur digitalen Gedenkstätte.
- Mit dem Gedenkstatus und der Testamentsfunktion gibt Facebook Toten einen Platz im Netzwerk. Schätzungsweise sind es rund 30 Millionen Profile.
- Die dauerhafte Sichtbarkeit von Tod und Trauer könnte eine neue kulturelle Praxis des Trauerns hervorbringen.
Lena konnte lachen und tanzen, als ob der Tod ihr nie etwas anhaben könnte. Ihre Lust am Leben teilte sie oft mit ihren Freunden auf Facebook. Auf ihren Bildern im sozialen Netzwerk springt sie von der Klippe in die Lagune, lacht in den Armen ihrer Freunde und streckt die Zunge aus, sobald sie die Kamera auf sich gerichtet sieht.
Dann starb Lena. Sie wurde 26 Jahre alt. Das ist nun zwei Jahre her. Für ihre Freundin Anna ist Lena aber noch da. Das Internet hält sie am Leben: Auf ihrem Facebook-Profil strahlt Lena weiterhin.
Herz-Emojis hauchen ihrem toten Profil Leben ein
Für Hinterbliebene ist es nicht immer einfach, dass Verstorbene nach dem Tod noch präsent sind. Auch Anna irritiert anfangs, dass ihre Freundin Lena virtuell weiterlebt. «Ich war lange nicht wirklich traurig, weil sie auf Facebook noch da war», erinnert sie sich. «Ihren Tod konnte ich nicht richtig wahrnehmen. Ihre Bilder waren noch so aktuell.»
Lenas Facebook-Seite wurde nach ihrem Tod zu einem Trauerort. Angehörige und Freunde reden hier über Lena, teilen Erinnerungen oder schreiben Lena direkt an. «Nicht ein Tag ist vergangen, an dem ich nicht an dich denke.» Rührende Grussbotschaften, Herz-Emojis und alte Bilder hauchen ihrem toten Profil nun Leben ein.
Facebook, ein digitaler Friedhof
Rund die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer ist heute in sozialen Netzwerken aktiv. Die wenigsten machen sich Gedanken darüber, was mit ihrem Konto passiert, wenn sie sterben.
Allein auf Facebook finden sich heute schätzungsweise 30 Millionen Profile von Toten. Es kommen laufend neue hinzu. In rund 80 Jahren werde Facebook sogar mehr tote als lebende Nutzer zählen. Das hat ein Statistik-Doktorand von Massachusetts ausgerechnet.
Wie Hinterbliebene reagieren können
Facebook-Nutzer können heute in den Einstellungen selbst festlegen, was mit ihren Profilen nach dem Tod geschieht. Doch das wissen viele nicht. Ist es zu spät, können Angehörige den Account mit bürokratischem Aufwand löschen lassen. Sie müssen dafür ihre Verwandtschaft und den Todesfall durch eine Sterbeurkunde nachweisen.
Den Account können sie aber auch in den sogenannten Gedenkzustand versetzen. Das Profil ist dann gekennzeichnet: Über dem Namen des Verstorbenen steht dann «In Erinnerung an».
In diesem Modus schalten sich einige Funktionen diskret ab. So wird niemand mehr an den Geburtstag des Verstorbenen erinnert und keiner kann sich mehr in das Konto einloggen. Damit können auch keine privaten Nachrichten gelesen oder vom Profil des Toten verschickt werden.
Cyberfriedhof mit Webtraffic
Letztes Jahr hat Facebook zudem eine Art Testamentsfunktion eingerichtet. Damit kann jeder einen Nachlasskontakt festlegen, der das Profil im Gedenkzustand verwalten darf, sollte man sterben. Damit hat sich Facebook entschlossen, die Toten zu behalten und – ihnen einen Platz zu geben.
Das hat wirtschaftliche Gründe. Es steigert den Webtraffic des sozialen Netzwerks. Gleichzeitig passiert auch etwas, das Facebook nicht kontrollieren kann. Die dauerhafte Präsenz von Tod und Trauer könnte eine neue kulturelle Praxis des Trauerns hervorbringen.
Denn auf Facebook wächst gerade ein riesiger Cyberfriedhof heran, der das Erinnern stärker fördert als das Vergessen. Wir können Verstorbener jetzt öffentlich und zeitlich unbegrenzt gedenken, über Jahre und Jahrzehnte, ohne dass Bilder in der Erinnerung verblassen.
Kommt da noch was?
Das Profil von Lena ist auch nach ihrem Tod unverändert geblieben. Kein Gedenkzustand, kein Abschalten. Die Familie wollte es so. «Es ist absurd, dass das Profil unverändert da ist», sagt Anna. «So wie es jetzt aussieht, hat man das Gefühl, alle hoffen, dass da noch eine Reaktion von Lena kommt.»
Anna wühlt sich heute nur noch ab und zu durch Lenas Facebook-Leben. Obwohl es nicht immer einfach ist, zu sehen, dass Lenas digitale Identität dem Tod zu trotzen scheint. «Es tut weh. Hier ist sie so glücklich, aber sie ist nicht mehr da.»
Es mag derzeit noch die Ausnahme sein, doch es wird mit jedem Jahr normaler: Verstorbene in der Freundesliste zu finden. Und nicht mehr nur Geburtstagsgrüsse zu schicken, sondern auch Kondolenz-Posts zu verfassen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 14.06.2017, 9:02 Uhr