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Mann hängt mit einem Arm an einer Leiter über den Hochhäusern einer Grossstadt.
Legende: «Roofing» ist ein Hobby für Schwindelfreie. Es garantiert einen Adrenalin-Kick – und mit einem Foto sogar Ruhm. Alexander Remnev

Digitalisierung der Freizeit Seht alle her: Ich habe ein Hobby

Früher bastelte man im stillen Kämmerlein. Das ist vorbei – der Digitalisierung sei dank. Eine Ausstellung in Winterthur zeigt, wie der private Zeitvertreib über die Jahre zur öffentlichen Selbstdarstellung wurde.

«Meine Mom hat soeben das World-of-Warcraft-Konto meines Bruders gekündigt, und er ist am Ausflippen – oh mein Gott!» Ein Teenie mit Zahnspange grinst hämisch in die Kamera und nimmt den Zuschauer mit ins Zimmer des Bruders. Der ist vollkommen ausser sich und schreit sich die Kehle aus dem Hals.

Diese Videosequenz hat das italienische Künstlerpaar Eva und Franco Mattes auf Youtube gefunden. Nun ist sie Teil der Raum-Installation «My Generation» im Fotomuseum Winterthur: Am Boden liegen ein zertrümmerter Computer und eine kaputte Tastatur, und über den kleinen Bildschirm flimmern Wutausbrüche von enervierten Gamern im Teenageralter.

Die Aussenwirkung zählt

Thomas Seelig, Co-Kurator und Direktor des Hauses, erklärt: «Da kommt die Jugendlichkeit mit dem Wahnsinn zusammen. Das ist eine sehr abgründige Arbeit, die viel über innere und äussere Spannung aussagt.» Eigentlich sei Gamen ein sehr privates Hobby, das durch diese Videos nun eine Öffentlichkeit erfahre.

Überhaupt ist das Öffentlichmachen der Hobbys ein zentrales Thema der Ausstellung. Hat man früher oft im stillen Kämmerlein getüftelt oder im Keller gebastelt, ist das Hobby heute sehr stark nach aussen gerichtet.

Mann steht in nassen Strassenkleidern vor einem See.
Legende: Kann auch ein Hobby sein: mit voller Kleidung baden gehen und dann ein Foto davon veröffentlichen. Lotte Reimann/Christian Gallati

Raus aus der Einsamkeit

Insbesondere die jüngere Generation inszeniere sich im Netz und finde sich darin auch wieder, sagt Thomas Seelig. «Youtube, Instagram oder Facebook sind Instrumente, die unsere eigene Position immer nach aussen kehren. Dadurch verändert sich die Eigen-, aber auch die Aussensicht auf das Hobby extrem.»

Davon zeugt etwa die grosse Fotografie von Lotte Reimann aus ihrer Serie «Bis morgen im Nassen». Zu sehen ist ein strahlender Mann, der in seiner Freizeit nichts lieber tut, als in Kleidern zu baden, sich zu fotografieren und das Bild dann ins Netz zu stellen.

Vor dem Internetzeitalter wäre der Mann mit seiner Passion für nasse Klamotten wohl ziemlich einsam gewesen – heute kann er sich auf Wetlook-Foren mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt austauschen.

Ausstellungshinweis

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«The Hobbyist» zeigt, wie sich die Hobby-Kultur in den letzten 50 Jahren verändert hat. Die Ausstellung im Fotomuseum Winterthur dauert bis zum 28. Januar 2018.

Künstler blicken auf die Hobby-Welt

Die Ausstellung «The Hobbyist» beleuchtet das Phänomen Hobby aus verschiedenen Perspektiven: Wo frönt der Mensch seinen Hobbys, wann wird das Hobby zum Lifestyle, oder wie wird ein Hobby dokumentiert?

Ein Beispiel: Seit 30 Jahren fotografiert ein Hobby-Fischer aus Colorado jeden Fang. Früher analog, heute digital. Seine Bilder stellt er allesamt auf Facebook, wo der Fotograf Benedikt Bock sie schliesslich entdeckt hat. Dieser hat die mittlerweile 150’000 unsortierten Bilder als Grundlage für seine eigene Arbeit gewählt und daraus eine Kulturgeschichte des Fischens gemacht.

Vier Fotos eines Fischers mit seinem Fang.
Legende: Ein Hobby-Fischer dokumentiert seit Jahren seine Erfolge. Daraus ist eine Kulturgeschichte des Fischens entstanden. Benedikt Bock

So vielfältig die Freizeitbeschäftigungen auch sind, Eingang in die Schau finden sie nur – und da haben die Kuratoren gute Arbeit geleistet –, wenn sie künstlerisch überzeugend umgesetzt sind. Und so auch für jene zum Blickfang werden, die ganz andere Hobbys haben.

Ein Hobby für das 21. Jahrhundert

Zurück zum Hobby des Computerspielens: War Gamen in den 1970er-Jahren noch den Technik-Freaks vorbehalten, so hat es sich mittlerweile zu einem Massenphänomen entwickelt, mit dem die Unterhaltungs- und Freizeitindustrie viel Geld verdient.

Das Computerspiel sei, so wird im Ausstellungskatalog schlüssig begründet, das paradigmatische Hobby im Übergang zum 21. Jahrhundert. Auch das erfährt man in dieser ebenso anspruchsvollen wie aufschlussreichen Schau.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.9.2017, 16.50 Uhr.

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