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Digitalisierung Die Kirche und der digitale Draht ins Diesseits

Vor der Corona-Pandemie waren die Kirchen Entwicklungsgebiete in Sachen Digitalisierung. Das hat sich geändert. Wie nachhaltig?

Link anklicken, Kamera und Mikrofon einstellen - und schon ist man dabei im Zoom-Gottesdienst der City Seelsorge St. Gallen. Die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen in Wohnzimmern und Büros. Einzeln, zu zweit, als Familie. Vom Kleinkind bis zum Pensionär - alle Altersklassen sind vertreten.

Nach einer Vorstellungsrunde inklusive obligatem «Du musst Dein Mikrofon noch anstellen» geht es los: Eine Predigt, dazwischen immer wieder Musik, live gespielt von drei Teilnehmerinnen. Das Vater Unser betet die zweitjüngste Gottesdienstbesucherin vor - ein achtjähriges Mädchen.

Auch sonst wird Beteiligung gross geschrieben: So gibt es zwei Umfragen mittels QR-Code, zur Frage, was Jesus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern persönlich bedeutet.

Pfarrer hält digitale Predigt
Legende: Vor Corona undenkbar: ein Gottesdienst per Live-Stream. KEYSTONE/Laurent Gillieron

«Riesiger Digitalisierungsschub»

Zoom-Gottesdienste wie diese sind eher die Ausnahme. Häufiger sind abgefilmte Gottesdienste auf Youtube. «Der Lockdown im letzten Frühling sorgte für einen riesigen Digitalisierungsschub», erklärt Thomas Schlag, Professor für Kirchenentwicklung an der Universität Zürich. Die Schweizer Kirchgemeinden hätten in zehn Tagen die Entwicklung von zehn Jahren aufgeholt. Das ergab eine gross angelegte Umfrage.

Wie digital sind die Schweizer Kirchen?

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Einen Fragebogen mit über 50 Fragen haben die Forscherinnen und Forscher des Projekts Contoc letzten Frühsommer verschickt. Sie wollten wissen, wie die Schweizer Kirchgemeinden und Pfarreien den Digitalisierungsschub während des Shutdowns beurteilten.

Über 700 Pfarrerinnen und Seelsorger haben sich beteiligt. Die Umfrage zeigt: 90 Prozent der Kirchgemeinden hatten vor Corona noch nie einen Onlinegottesdienst abgehalten. Die Mehrheit steht nach der Erfahrung des letzten Frühlings hinter der Digitalisierung.

Viele wünschen sich zudem Weiterbildungen, um sich digital fit zu machen für die Zukunft.

Echte Digitalisierung gehe aber über Gottesdienste hinaus, betont Sabrina Müller, die ebenfalls am Zürcher Zentrum für Kirchenentwicklung forscht. «Es geht um Kommunikation von Glauben», erklärt sie. Digitale Kirche könne Menschen erreichen, die sich von klassischen Gottesdiensten nicht angesprochen fühlen.

#Gottesdienst

Sabrina Müller nennt sie spirituelle Wandererinnen und Wanderer. «Ihnen können digitale Vergemeinschaftungsformen eine neue Heimat bieten.»
Gemeint sind damit neue Gemeinschaften in den sozialen Medien. Auf Youtube, Instagram oder Facebook.

Ein tägliches Abendgebet auf Twitter mit dem Hashtag twomplet, das Projekt Netz-Kloster, Urbn-K, ein Youtube-Format der römisch-katholischen Kirche der Stadt Zürich, oder «Holy Shit» mit Youtube und Instagram-Account.

In den USA und auch in Deutschland beobachtet Sabrina Müller solche Formate schon länger. In der Schweiz sind sie relativ neu. Sind sie also ein Resultat der Pandemie?

Neue Wege

«Die Pandemie wirkt wie ein Katalysator», sagt Sabrina Müller. Sie spielt Ressourcen frei, vieles wird ausprobiert. «Und diese Beispiele ermutigen dann andere, den Schritt ins Digitale ebenfalls zu wagen.»

Diese Beobachtung gilt für viele Bereiche: Gottesdienste, Seelsorge, soziale Angebote, Religionsunterricht. Überall wurden während der Pandemie neue, digitale Wege ausprobiert. Doch wie nachhaltig sind sie?

«Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten», glaubt Professor Thomas Schlag. Nun gehe es darum zu entscheiden, welche Angebote beibehalten und wofür Ressourcen bereitgestellt werden.

Die Kirchgemeinden müssten sich nun gut überlegen, wen sie mit den neuen Angeboten ansprechen wollen. Nur dann bietet die Digitalisierung auch längerfristige eine Chance.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 20.03.2021, 17:59 Uhr

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