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Wie gehen Bibliotheken mit diskriminierenden Büchern um?
Aus Kultur-Aktualität vom 06.10.2020. Bild: Getty Images / Maskot
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Diskriminierende Romane Bibliotheksdirektor: «Auch umstrittene Bücher gehören ins Regal»

Um den neuen Krimi von «Harry Potter»-Autorin J.K. Rowling tobt eine Debatte. Im Roman «Troubled Blood», den sie unter dem Pseudonym Robert Galbraith veröffentlicht hat, verkleidet sich ein Mörder als Frau, um seine Opfer zu täuschen. Der Autorin wird vorgeworfen, das sei transfeindlich.

Bücher, die unter rassistischen, sexistischen oder anderen diskriminierenden Gesichtspunkten in Verruf geraten, gibt es immer mehr. Wie Bibliotheken damit umgehen, erklärt Felix Hüppi, Direktor der Kornhausbibliotheken Bern.

Felix Hüppi

Felix Hüppi

Bibliotheksdirektor

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Felix Hüppi leitet seit Oktober 2010 die Kornhausbibliotheken in Bern und damit den Verbund von 21 Bibliotheken der Stadt. Zuvor war er als Chefbibliothekar bei der Pestalozzi-Bibliothek in Zürich tätig und studierte an der HTW Chur «Business Administration, Major Information Science».

SRF: Gehören Bücher mit politisch unkorrekten Inhalten in eine Bibliothek?

Felix Hüppi: Das ist eine schwierige Frage. Grundsätzlich wollen wir unseren Kundinnen und Kunden in einer öffentlichen Bibliothek alles anbieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können. Dazu gehören auch Bücher, die umstritten sind. Gleichzeitig muss man aber eine Grenze ziehen. Die Schwierigkeit ist immer, wo diese Grenze liegt.

Was wir lange nicht angeboten haben, ist das Buch «Fifty Shades of Grey».

Wo liegt diese Grenze bei Ihnen?

Wir haben je nach Thema Lektorinnen und Lektoren, die schauen, welche Bücher in den Medien besprochen werden, welche Verlage als zuverlässige Verlage bekannt sind und wie man ein Thema möglichst neutral beschreiben kann. Wir schauen also aus verschiedenen Perspektiven auf die Themen. So versuchen wir, diese Grenze auszuloten.

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen dafür sehr viel Fingerspitzengefühl. Wir wollen Aktuelles und auch Umstrittenes bereitstellen, damit sich die Leute informieren können. Aber wir wollen nicht einseitig sein.

Gibt es denn Beispiele von Büchern, die Sie bewusst nicht eingekauft haben, weil Sie sie aus ethischen Gründen nicht haben wollten?

Was wir lange nicht angeboten haben, ist das Buch «Fifty Shades of Grey». Als das herauskam, hatten wir das Gefühl, dass es sich um Pornografie und nicht um einen Roman handelt. Jetzt steht es trotzdem in der Bibliothek. Unsere Haltung kann sich über die Zeit auch verändern.

Eine Neuauflage mit Kommentaren ermöglicht es, den Kontext des Buches zu vermitteln.

Bei welchen Büchern war das so?

Ganz lange war «Mein Kampf» von Hitler in keiner Bibliothek zu finden. Jetzt gibt es eine neue Auflage mit Kommentaren dazu, die von vielen Bibliotheken angeboten wird. Auch von uns.

Warum?

Weil so eine Neuauflage mit Kommentaren es ermöglicht, den Kontext zu vermitteln. Das ist eine Möglichkeit, sensible Inhalte zu vermitteln. Im Bereich von Kinderbüchern ist das allerdings schwieriger. Wir haben viele Klassiker, die schon recht alt sind. Da hat sich vieles verändert im Sprachgebrauch, auch in den Rollenklischees. Deshalb gibt es verschiedene Kinderbücher, die unter heutigen Gesichtspunkten mindestens strittig und teilweise sogar unakzeptabel sind.

Wie gehen Sie damit um?

Eigentlich müssten wir versuchen, auch in diesen Fällen Kontext zu bieten. Das ist aber fast unmöglich bei der Menge, die wir haben. Deshalb hoffe ich sehr auf unsere Kundinnen und Kunden. Ich habe Vertrauen in die Menschen, dass sie selbst denken und sich selbst einen Kontext suchen können.

Das Gespräch führte Sarah Herwig.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 6.10.20, 17.10 Uhr;

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