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Diskussion um Brutalismus Müssen die Betonmonster gerettet werden?

Kunst oder Sanierungsfall? Schützen oder abreissen? Beton-Gebäude im Stil des Brutalismus geben zu reden.

«Unbefugten ist das Betreten des Betriebsgeländes verboten», steht auf einem Schild vor dem Berliner Mäusebunker. Davon lassen sich Hobbyfotografen und Schaulustige nicht abschrecken. Täglich klettern sie über die Absperrungen, magisch angezogen von diesem seltsamen Koloss.

Die angsteinflössende Form passt zur Funktion: Hier hat das Universitätsklinikum Charité Tierversuche gemacht. Das abgeschottete Innere, das panzerartige Äussere, die Lüftungsrohre, die Kanonenrohren ähneln – der Mäusebunker wirkt wie ein martialisches Raumschiff.

Wie ein Sternzerstörer

«Der Mensch ist gerade auf den Mond geflogen», versetzt sich der Architekturhistoriker Felix Torkar in die Zeit, in der Gerd und Magdalena Hänska das Gebäude entwarfen. «Eine unheimliche Science-Fiction-Ära.»

Da komme das Schiffsmotiv der klassischen Moderne und die Science-Fiction-Architektur der 60er- und 70er-Jahre zusammen und lasse diesen Sternzerstörer entstehen.

Torkar hat eine Online-Petition zur Rettung des Mäusebunkers lanciert, zusammen mit dem Architekten Gunnar Klack. «Dieser gesamte Beton ist für ein vierzig Jahre altes Gebäude einfach in einem Top-Zustand», begeistert sich Klack.

Abreissen oder schützen?

Clemens Escher von der CDU blickt ganz anders auf das Gebäude. «Vor uns steht ein Vollsanierungsfall», meint er. Wie die Charité selbst will Escher den Abriss und am selben Ort einen Neubau für Medizinforschung.

Irritiert beobachtet Escher, wie eine Gruppe US-Amerikaner Sightseeing am Mäusebunker macht. Es werden Selfies mit dem Brutalismusbau im Hintergrund geknipst und im Netz, dem Hauptort der derzeitigen Brutalismus-Hypes, gepostet.

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Brutalist tour in Berlin.

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Irgendwann ist der Brutalismus-Hype auch wieder vorbei, ist sich der Kommunalpolitiker Escher sicher. Das militärisch wirkende Äussere findet er nicht mehr zeitgemäss.

«Die Pyramiden sind auch nicht schön. Und die möchte auch niemand abreissen», hält der Brutalismus-Liebhaber Gunnar Klack dagegen.

Brutalismus in der Schweiz

Einen erheblichen Anteil am aktuellen Brutalismus-Interesse hatte die Frankfurter Ausstellung «SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster!» von 2017. Die Datenbank «SOS Brutalismus» hat weltweit rund 2000 Gebäude dieses Architekturstils erfasst.

Eine Kirche aus Beton: Glatte Fassade mit wenigen Einbuchtungen als Fenster.
Legende: Kirche St. Nicolas in Hérémence, Architekt Walter Maria Förderer imago images / imagebroker

Darunter die skulptural wirkende Kirche St. Nicolas in Hérémence im Kanton Wallis. Es ist das wohl spektakulärste brutalistische Bauwerk der Schweiz. Die Kirche bleibt erhalten.

Vom Abriss bedroht ist aber das Alters- und Pflegeheim Grossfeld in Kriens bei Luzern. Ab Herbst wird entschieden, ob das Gebäude in ein Neubauprojekt integriert oder abgerissen wird. Im Vorfeld war es als schutzwürdig bewertet, aber nicht unter Denkmal Denkmalschutz gestellt worden.

Eine Fassadenfront eines Altersheimes: Zweistöckies Gebäude mit grossen Fenster in weinroten Fensterrahmen. Das Gebäude selbst ist aus Beton, an welchem viele Witterungsspuren in Form von schwarzen Verfärbungen zu sehen ist.
Legende: Das Altersheim Grossfeld in Kriens von Architekt Walter Rüssli ist vom Abriss bedroht. Grund dafür ist aber nicht nur die Ästhetik des Gebäudes, sondern auch sein schlechter Zustand. Maja Ilic, 2018 (Hochschule Luzern – Technik & Architektur)

Geschützter Brutalismus in Biel

Die Macher der Datenbank «SOS Brutalismus» haben auch das sanierungsbedürftige Kongresshaus Biel als vom Abriss bedroht eingestuft. 2017 hatte Biels Baudirektorin Barbara Schwickert den Abriss nicht mehr ausgeschlossen, sollten exorbitante Sanierungsarbeiten nötig sein.

Das Kongresshaus Biel: Es besteht aus zwei Gebäudeteilen. Der erste ist ein Hochhaus mit einer Glasfront und das andere ist ein flacheres Gebäude mit nach innen geschwungener Decke. Die Fassade zur Strasse hin ist ebenfalls aus Glas.
Legende: Das Kongresshaus Biel konnte am 28. Oktober 1966 in Betrieb genommen werden, mit Schwimmhalle, Konzert- und Vortragssälen sowie einem Bürohochhaus. Keystone

«Ein Abbruch ist nicht gerechtfertigt», teilt Schwickert nun auf Anfrage schriftlich mit. «Das Kongresshaus Biel ist geschützt.» Ein Abbruch wäre ihrer Einschätzung nach auch unwirtschaftlich.

Brutalismus als Touristenmagnet

Das freut Benedikt Loderer, Architekturexperte und Bieler Stadtrat für die Grüne Partei. Er prophezeit: «Wenn wir das Kongresshaus noch hundert Jahre stehen lassen, dann wird es ein Heiligtum sein. Dann werden nur deswegen Architekturtouristen nach Biel kommen.»

Eine Prognose wagt auch der deutsche Architekt Gunnar Klack. Er hofft, dass der Berliner Mäusebunker noch rechtzeitig unter Denkmalschutz gestellt wird: «Wenn man den abreisst, dann wird man sich in spätestens fünfzig Jahren dafür schämen.»

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 11.8.2020, 17:10 Uhr.

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