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Diskussion um Gratisartikel Wie rede ich mit meinem Kind über Konsum?

Supermärkte verteilen Gratisartikel en masse. Die Kinder freut's, die Eltern meistens nicht. Unsere Redaktorin fragt sich: Wie rede ich mit meinem Kind über Konsum und Nachhaltigkeit?

«Sammeln Sie Punkte?» Wenn man ohne Kinder einkauft, ist es leicht, diese Frage an der Kasse freundlich zu verneinen. Doch mit Kindern im Schlepptau wird es schwierig.

Weshalb sollten sie kein Gratis-Stofftier haben dürfen? Keine Fussballkarten, kein Miniatur-Einkaufsartikel aus Plastik, die man gegen solche Punkte eintauschen kann?

Wohlstandsmüll im Kinderzimmer

Meine ehrliche Antwort: Weil diese Dinge nur einen kurzen Reiz ausüben und sich dann im Kinderzimmer stapeln. Weil ich keine Lust habe, mich mit diesem Wohlstandmüll herumzuschlagen. Weil ich nicht möchte, dass Kinder ständig zu Konsum animiert werden.

Doch wie sollen Kinder begreifen, dass auch die Jagd auf Gratisartikel eine Form des Konsumierens ist?

Daniel Betschart, Experte zu Schuldenprävention und Konsum bei Pro Juventute, empfiehlt:

«Erklären Sie den Kindern, dass es kaum etwas gratis gibt. Solche Aktionen dienen dazu, Werbung zu machen oder Daten zu sammeln. Es ist wichtig, zu thematisieren, dass eine Absicht dahintersteckt.»

Aktion mit gutem Zweck – wirklich?

Solche Gespräche beim Einkaufen mit Kindern brauchen starke Nerven. Besonders schwierig wird es, wenn die Sammelaktionen im Namen einer guten Sache antreten.

drei Figürchen auf einem Brett
Legende: Nanos, ja oder nein? Die Kinder mögen sie. Aber nachhaltig sind sie kaum. KEYSTONE / Alessandro Della Bella

Die jüngste Sammelaktion der Migros forderte dazu auf, Punkte für «Heldentaten in der Natur» zu sammeln und «einen Beitrag zur Biodiversität in der Schweiz» zu leisten. Beim Einkaufen bekam man Blumensamen, dazu Sticker für Sammelbögen, die man etwa gegen ein Insektenhotel tauschen konnte. Allerdings: Das Insektenhotel ist aus neuseeländischem Holz, gefertigt in China.

Beliebtes Bienenhotel aus der Ferne

Wenn sich das Unternehmen für Nachhaltigkeit engagieren will, hätte man nicht Holz aus der Region verwenden sollen? Eigentlich schon, so Patrick Stöpper, Mediensprecher der Migros. «Ursprünglich wollten wir regionales Holz verwenden, das war aber aufgrund der Bestellmengen nicht umsetzbar. Die Insektenhotels waren sehr beliebt. Wir haben jetzt zum Ende der Promotion praktisch keine mehr übrig.»

Patrick Stöpper kann nicht bekannt geben, wie viele dieser Insektenhotels hergestellt wurden, wie viel Holz dafür von Neuseeland über China in die Schweiz verschifft wurde – im Namen der Artenvielfalt.

Die CO2-Emissionen der langen Transportwege seien aber von Myclimate berechnet und kompensiert worden. Zudem stamme das Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft.

An den Lebensalltag des Kindes anknüpfen

Da stehe ich vor dem Insektenhotel und sollte den Kindern erklären, ob sie es mitnehmen dürfen oder nicht. Wie viel Komplexität ist Kindern zuzumuten, wenn es um Nachhaltigkeit geht?

Dina Walser, verantwortlich für die Schulprogramme des WWF, rät: «Eltern sollten den komplexen Sachverhalt so übersetzen, dass er in den Lebensalltag des Kindes passt.»

Schwarz-Weiss-Denken hilft nicht weiter

Den Aufwand für lange Transportwege kann ein Kind aus seinem Lebensalltag heraus noch verstehen. Doch bei CO2-Kompensation werde es schon schwierig, so Dina Walser: «Man stösst oft an Grenzen und gerät ins Philosophieren. Was darf man, wie machen es die anderen, weshalb machen wir es anders? Das sind Themen, bei denen Schwarz-Weiss-Denken nicht weiter führt.»

Es hilft nichts – Eltern kommen ums ständige Aushandeln nicht herum. Wie viel Zeit und Geduld das braucht, zeigt das scheinbar unschuldige Bienenhotel: Es führt mitten in den Dschungel der Widersprüche, mit denen wir in der globalisierten Warenwelt täglich leben.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 28.05.2020, 8:20 Uhr

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