Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Gesellschaft & Religion Donald Trump: Der Ertrinkende schnappt nach Luft

Nun, da die Umfragewerte von Donald Trump im Sinkflug sind, fühlen sich weisse Wutbürger um ihre Rechte betrogen. Trump versteht es aber, den Zorn am Kochen zu halten: mit Verschwörungstheorien und Feindbildern. Doch das wird ihm nichts bringen, meint Soziologe Michael Kimmel.

Je mehr Donald Trump an Boden verliert, desto glühender verbreitet er nun die Legende, man wolle ihm und seiner weitgehend weissen Gefolgschaft die Wahl stehlen. Vor einigen Tagen warnte er bei einem Auftritt in Philadelphia, «andere Gemeinschaften» könnten ihnen den Wahlsieg rauben. Mit «anderen Gemeinschaften» meinte er unzweideutig die afro-amerikanische Minderheit im Grossraum der Metropole. Fast zeitgleich erklärte eine Trumpstin bei einer Veranstaltung seines Vizes, Mike Pence, in Iowa, falls Hillary Clinton gewählt werde, sei sie «zur Revolution bereit». Nur verbale Kraftmeieren – oder muss mehr befürchtet werden?

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Michael Scott Kimmel (*1951) ist ein US-amerikanischer Soziologe und Professor für Soziologie an der Stony Brook University in New York. Kimmels Schwerpunkte in Forschung, Lehre und Publikationen sind Männerforschung, Geschlecht und Sexualität sowie politische und soziale Bewegungen.

Michael Kimmel: Das weiss niemand. Trump ist ein Ertrinkender. Und Ertrinkende ziehen alle mit hinab, um selber über Wasser zu bleiben. Er ruft Leute dazu auf, genau das zu denken und zu sagen, was die Frau ausdrückt. Ich denke aber, die meisten Leute sagen sowas nur so daher – aber keiner weiss es.

Erstaunlich ist auch, wie Donald Trumps Anhängerschaft dessen sexuelle Übergriffe banalisiert. Immerhin kandidiert er für das höchste Amt der Weltmacht USA. Eine fundamentalistische Christin und Abtreibungsgegenerin aus Missouri sagte gegenüber dem Nachrichten-Sender CNN: «Hier geht es ja nicht um die Papstwahl. Gott kann alle gebrauchen, auch diesen Mann.» Ihr Kommentar?

Komplett verrückt! Alle, die sich Christen nennen, müssten moralisch derart abgestossen sein, dass sie unmöglich einen solchen Mann wählen können.

Schliesslich sind diese Leute mit einer moralischen Krise konfrontiert: Glauben sie tatsächlich, Gott arbeite auf mysteriöse Weise? Oder glauben sie vielmehr, sie müssten sich nach ihren eigenen Werten richten und danach, was sie für gut oder falsch halten. Wäre es nicht Donald Trump, sondern Barack Obama oder Hillary Clinton – Leute wie diese Frau hätten deren sofortige Amtsenthebung verlangt.

Ich glaube, dass Trump eine krachende Niederlage erleben wird. Und es wird für ihn sehr schwierig sein zu akzeptieren, dass er von einer Frau geschlagen worden ist.

Der Hass, der Rassismus, der auch bei Trumps Auftritten der letzten Monate immer wieder sichtbar wurde, lässt sich nicht einfach wieder unter den Teppich kehren. Wie geht die amerikanische Gesellschaft nach dem 8. November mit diesem Scherbenhaufen um?

Ich bin Soziologe. Und in unserem Beruf sehen wir immer beide Seiten: die gute und die schlechte. Erstens: Donald Trump wird die Wahlen nicht gewinnen. Die meisten US-Bürger sind anständiger, als er meint. Ich persönlich glaube sogar, dass Donald Trump eine krachende Niederlage erleben wird. Und es wird für ihn sehr schwierig sein zu akzeptieren, dass er von einer Frau geschlagen worden ist.

Zweitens hat dieser Wahlkampf zwar tatsächlich einen lange schwelenden Rassismus an die Oberfläche gebracht. Aber er hat auch eine Menge Gegenbewegungen ausgelöst. Die USA wird nicht zurückfallen in die Vergangenheit, egal, was passiert.

Dieser Wahlkampf hat etwas sichtbar gemacht, das sehr hässlich ist. Aber mit der Zeit wird die Zahl der weissen wütenden Leute immer kleiner, obschon sie in naher Zukunft immer lauter und lauter werden dürften.

Die Losung ‹America First› ist die Weigerung, sich mit der Welt zu vernetzen.

Sie sind kein Politikwissenschaftler, dennoch die Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Republikanische Partei nach diesem Riesendebakel?

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Michael Kimmel: «Angry White Men – die USA und ihre zornigen Männer», Orell Füssli Verlag, 2015.

Die Gemässigten der Partei haben seit der Wahlniederlage von John McCain 2008 gesagt, es sei wichtig, den Anschluss an die Zukunft der USA zu schaffen – und nicht den Weg zurück in die Vergangenheit. Trump steht für Vergangenheit: Rassismus, Xenophobie. Die Losung «America First» ist die Weigerung, sich mit der Welt zu vernetzen.

Die Zukunft der USA ist multikulturell, dominiert von Nicht-Weissen, Immigranten, Frauen. Wenn es der Republikanischen Partei nicht gelingt, diese Wählersegmente einzubinden, werden sie jede künftige Wahl verlieren. Und das wissen sie.

Meistgelesene Artikel