Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Amateurfotografie Dorfbeiz und Viehschau: Bilder aus einer vergangenen Schweiz

Alfons Rohrer aus Sachseln hatte immer und überall das Alltägliche im Blick – und hielt damit ein Stück Zeitgeschichte fest: Während 50 Jahren fotografierte der Wirt das Dorfleben in der Innerschweiz. Nun ist eine Auswahl seiner Bilder als Bildband erschienen.

Sachseln im Kanton Obwalden ist der geografische Mittelpunkt der Schweiz: Hier lebte und wirtete Alfons Rohrer im Gasthaus Bahnhof. Er kam 1925 zur Welt, starb 1998 und hinterliess 14’000 Diapositive. Auf ihnen dokumentierte er während 50 Jahren akribisch das Dorfleben. Nun hat sein Enkel Heinz Anderhalden, von Beruf Grafiker, sämtliche Dias digitalisiert und die besten Bilder in einem Fotoband publiziert.

Aus den eigenen Reihen heraus

Bei einem Treffen auf dem Dorfplatz von Sachseln sagt der 35-Jährige: «Wir stehen hier im Zentrum des Bewegungsradius meines Grossvaters. Er war etwas eingeschränkt, da er keinen Führerschein hatte und sich mit Mofa und einem landwirtschaftlichen Fahrzeug fortbewegte.»

Als Kind habe er seinen Grossvater oft begleitet. «Die Kamera war nicht präsent, obwohl sie immer dabei war. Ich glaube, das sieht man den Bildern an. Er war mittendrin und konnte aus den eigenen Reihen heraus fotografieren. Darum wirken die Bilder so nahe.»

Aromat, Maggi und Zahnstocher

Alfons Rohrer war Akteur und Beobachter: Er war im Gesangsverein und in der Schützengesellschaft, er kommandierte die Ortsfeuerwehr, und er präsidierte die Vereinigung der Schafzüchter.

Er prägte das Dorfleben und dokumentierte es mit seiner Kleinformatkamera: Er fotografierte Feuerwehrübungen, Schützenfeste, Viehschauen, Bauarbeiten, Ausflüge, Menschen und Tiere. Und immer wieder die eigene Dorfbeiz, wo noch heute Aromat, Maggi und Zahnstocher auf den Tischen stehen.

Hier war er daheim, arbeitete im Service, spaltete Holz und züchtete Schafe. Küchenchefin war seine Frau Hilda, die noch immer im Familienbetrieb mithilft. Eigentlich sei der Fotoband auch eine Hommage an seine Grossmutter, sagt der Enkel Heinz Anderhalden.

An Grossmutters Tisch

«Man sieht oft nur Männer auf den Bildern. Aber das eigentliche Zentrum bildet meine Grossmutter in der Küche. Da trifft sich alles. Alle haben da immer zu Mittag gegessen, die ganze Familie, die Angestellten. Dahin kam auch mein Grossvater jeden Mittag, zu jedem Abendessen.»

Als Fotograf hätte sich Alfons Rohrer nie bezeichnet, ist sein Enkel überzeugt. Auch habe er keinerlei künstlerischen Anspruch an seine Bilder gestellt.

«Er hat Fotos gemacht. Und zwar dokumentarisch, persönlich, für sich, um Momente festzuhalten und die dann wieder mit Freude anzuschauen und sich daran zu erinnern. Ich glaube, das war das Hauptziel.»

Die Fotos funktionieren auch ausserhalb Sachselns

So erstaunt es denn auch nicht, dass Alfons Rohrer seine 14’000 Dias nicht systematisch geordnet hat. Er hat sie weder mit Datum noch mit Anmerkungen versehen. Sein Enkel hat alles digitalisiert und dann ein paar Pariser Freunden eine Auswahl präsentiert.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Alfons Rohrer: «Heimat. Chez soi». Scheidegger & Spiess, 2017.

«Es waren sie, die mich darauf hingewiesen haben, dass auch sie, die keinen Bezug zu Sachseln und meinem Grossvater haben, die Kraft dieser Bilder entdecken.»

So hat sich Heinz Anderhalden dafür entschieden, die 240 besten Bilder in einem Buch zu veröffentlichen. Entstanden ist ein Bildband, in den man in eine ländliche Welt eintaucht, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts existiert hat.

Den Grossvater in die Welt tragen

Zu entdecken sind Bilder aus der Zentralschweiz, die auch Menschen etwas angehen können, die noch nie dort waren. Es ist keine heile Welt, doch es ist eine Welt mit Menschen, die ihr Schicksal und den Kreislauf der Natur akzeptieren.

Das Buch dokumentiert Zeitgeschichte, die über das Regionale hinausweist. Das ist Heinz Anderhalden wichtig und zeigt sich auch darin, dass alle Texte und Legenden auf Deutsch und Französisch verfasst sind. Die französische Übersetzung sei, so Anderhalden, «eine Geste, meinen Grossvater nach aussen zu tragen und einen Blick für die Leute von aussen zu ihm nach Sachseln zu ermöglichen».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 3.4.2017, 16.50 Uhr

Meistgelesene Artikel