«Am meisten hat mich der Zusammenhalt dieser vielen Bergsteiger beeindruckt, die aus mehreren Nationen gekommen sind, um zwei Bergsteigern zu helfen, wo man eigentlich meinte: Denen ist nicht zu helfen.» Das sagte Lothar Brandner, der als junger Mann bei der Rettungsaktion an der Eiger-Nordwand dabei war.
Die falsche Route
Begonnen hatte das Drama 1957, als zwei Italiener in die Wand einstiegen und zunächst auf die falsche Route gerieten. Stefano Longhi und sein Gefährte Claudio Corti mussten biwakieren und am nächsten Morgen wieder ein Stück abseilen. Als sie schliesslich wieder den Originalweg erreicht hatten, trafen sie dort auf zwei deutsche Bergsteiger.
Dann stürzte Longhi. Seine Seilkameraden konnten den Sturz zwar abfangen, den verletzten Longhi aber nicht mehr hochziehen. Sie liessen ihn auf einem Felsvorsprung zurück. Wenig später wurde Corti von einem Steinschlag getroffen und musste ebenfalls verletzt zurückgelassen werden.
Die Schaulustigen stehen Schlange
Im Tal unten wusste man unterdessen, dass es um die Bergsteiger nicht gut stand. Zahlreiche Schaulustige hätten das Geschehen durch Ferngläser beobachtet, so Rainer Rettner, der in seinem Buch «Corti-Drama» die Geschehnisse rekonstruierte: «Vor den Münzfernrohren waren Leute, die durch die Presse-Berichterstattung, gerade durch Radio-Meldungen, richtig auf den Berg hochgetrieben wurden.»
Um die Fernrohre hätten sich Schlangen gebildet, Radioreporter befragten die Leute. «Unvorstellbar, was sich auf der Kleinen Scheidegg damals abgespielt hat», sagt Rettner.
Spektakuläre Rettungsaktion
Wegen des schlechten Wetters wollte die Rettungsstelle in Grindelwald keine Rettung wagen. Bis der deutsche Alpinist Ludwig Gramminger ein Team mit rund 50 Bergsteigern aus sechs Ländern zusammenstellte.
Sie wagten einen Rettungsversuch: Mit einem auf dem Gipfel befestigten Stahlseil wurde ein Mann in die Wand zu Corti hinuntergelassen. Von den Medien beobachtet, konnte Claudio Corti am dritten Tag der Hilfsaktion gerettet werden.
Die beiden Deutschen blieben unauffindbar, und auch für Longhi gab es keine Rettung: Nach einem Wettersturz musste die Hilfsaktion abgebrochen werden. Corti war der einzige Überlebende.
Longhis Körper blieb wie ein makabres Mahnmal zwei Jahre lang in der Wand hängen, gut sichtbar für die Touristen, die durch die Fernrohre schauten. Erst 1959 konnte der Leichnam geborgen werden.
Vorwürfe an den Geretteten
Was man 1957 noch nicht wusste: Die beiden Deutschen hatten den Gipfel zwar erreicht, waren aber beim Abstieg ums Leben gekommen. Für den einzigen Geretteten Claudio Corti begann ein neuer Leidensweg: Es gab Anschuldigungen, er sei schuld am Tod seines Kameraden Longhi, und er habe die beiden Deutschen die Wand hinabgestossen, um an ihr Material zu kommen.
Erst als vier Jahre später in der Westflanke, weit abseits der Normalroute, die Leichen der deutschen Bergsteiger gefunden wurden, wurde Claudio Corti rehabilitiert.