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Ein Hoch auf den Humor Wer lacht, lebt besser – stirbt aber trotzdem

Philosoph Yves Bossart erklärt, warum Humor Regeln bricht und den Verstand auflockert – bis zum Schluss.

Ich lache für mein Leben gern. Ehrlich gesagt: Ich weiss nicht, ob ich ohne Humor überhaupt noch am Leben wäre. Das Lachen hilft mir in schweren Zeiten, in Momenten der Verzweiflung, der Anspannung, der Angst und Überforderung. Aber auch in peinlichen Situationen. Humor ist eine Abwehrreaktion. Er schafft Distanz – zur Welt und zu mir selbst.

Der Humor rückt die Relationen zurecht, er spricht Klartext, entlarvt Eitelkeiten und zeigt, wie lächerlich, fehlbar und endlich wir Menschen sind. Er hält uns den Spiegel vor, macht Widersprüche sichtbar, bringt Verdrängtes zum Vorschein, aber auch ungeahnte Verbindungen.

Wenn wir lachen, treten wir einen Schritt zurück, wir verändern unsere Perspektive und sehen die Welt auf neue Weise: ehrlicher, leichter, befreiter.

Humor bricht Regeln

Kürzlich hat meine zweijährige Tochter meine Schuhe angezogen und lief so durch die Wohnung. Sie fand das lustig. Ich auch.

Als Philosoph, wie ich einer bin, stellt man sich in solchen Momenten aber unwillkürlich Fragen: Warum ist das lustig? Hat meine Tochter bereits einen Sinn für Humor? Und: Warum kann sie in diesen übergrossen Schuhen so gut laufen?

Schnell kam ich zum Schluss: Ja, meine Tochter hat Humor. Sie verbindet Dinge, die nicht zusammenpassen. Und sie verletzt auf spielerische Weise eine Regel. Beides sind typische Merkmale des Komischen. Aber es bleibt die Frage: Warum müssen wir darüber lachen? Warum lösen übergrosse Schuhe Kontraktionen in meinem Zwerchfell aus?

Lachen gegen die Überforderung

Das Lachen ist eine starke körperliche Reaktion, ähnlich wie das Weinen. Der Philosoph Helmut Plessner bezeichnete darum beides als «Grenzreaktion». Wir weinen und lachen, weil wir an unsere Grenzen kommen. Wir sind kurzzeitig überfordert und verlieren die Kontrolle über unseren Körper.

Das Weinen ist Ausdruck einer Überforderung des Herzens: Wir werden überwältigt und können die Dinge nicht mehr ins Verhältnis setzen. Das Lachen dagegen bezeugt nach Plessner eine Überforderung des Verstandes angesichts der Widersprüchlichkeiten und Mehrdeutigkeiten der Welt.

Humor ist also die Kunst, die Widersprüche des Lebens zu umarmen. In der Sprache der Psychologie heisst das «Ambiguitätstoleranz». Humor ist der Versuch, auf Distanz zu gehen, auch zu sich selbst, und die eigene Perspektive zu verändern, sodass sich tragische Widersprüche in komische Inkongruenzen verwandeln.

Den Tod mit Humor nehmen

Damit ist der Humor immer auch die Kunst, zu scheitern – und in aller Konsequenz auch die Kunst, sterben zu lernen. Denn der Tod ist die ultimative Form des Scheiterns.

Nicht zufällig gibt es viele Witze aus dem Bereich «schwarzer Humor». Etwa diesen: «Kommt der Arzt zum Krankenbett und sagt: Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Sagt der Patient: Dann zuerst die gute. Darauf der Arzt: Dank Ihnen wird bald ein Bett frei».

Solche Witze machen eine Klammer auf, innerhalb derer wir uns dem Tabu Tod annähern können. Sie helfen uns, die Dinge beim Namen zu nennen, auf eine spielerische und letztlich sanfte und liebevolle Art – ganz egal, wie pechschwarz der Humor ist.

Die Wahrheit ist: Wir alle sitzen im selben Boot. Wir alle müssen sterben. Wir können daran verzweifeln oder aber: darüber lachen. Trotz allem. Genau darin besteht die wundervolle Versuchung und Herausforderung des Humors. Denn letztlich sind wir Menschen doch sehr ähnlich wie meine zweijährige Tochter, die in zu grossen Schuhen läuft: Kinder, die sich wie Erwachsene benehmen.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 12.06.2022, 11:00 Uhr

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