Zum Inhalt springen

Ein Hoch auf die Helvetismen Warum sich Schweizer nicht für ihr Hochdeutsch schämen sollten

Was ist richtiges Deutsch: Die Foto oder das Foto? Kommt darauf an, woher man kommt, sagen Sprachwissenschaftler.

Für deutsche Ohren klingt es zuweilen etwas eigenartig, wie Schweizer Hochdeutsch sprechen: Wer im Auto oder im Zug unterwegs ist, fährt in der Schweiz durch Tunnels – in Deutschland hingegen nur durch mehrere Tunnel.

Ein anderes Beispiel: Wer in der Schweiz Gäste begrüsst, sagt gerne: «Schön, bist du da.» In Deutschland würde man eher sagen: «Schön, dass Sie da sind.» Oder sogar: «Es ist schön, dass Sie da sind.»

Patrizia Sutter, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt «Variantengrammatik» der Universität Zürich, sagt: «Die Stellung des ‹Schön› würde in Deutschland irgendwie komisch wirken. Sie würde in der Standardsprache auffallen.»

«Variantengrammatik des Standarddeutschen»

Box aufklappen Box zuklappen

Für das Grossprojekt «Variantengrammatik des Standarddeutschen» haben Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Unis Zürich, Graz und Salzburg Unterschiede in der Grammatik der deutschen Standardsprache untersucht. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2018 publiziert.

Dieses Wörter-nach-vorne-Stellen sei grundsätzlich etwas spezifisch Schweizerisches, das wir auch gerne ins Hochdeutsche übernehmen würden – beispielsweise bei der Formulierung «bereits liegt in den Bergen der Schnee».

«Das würde in den Ohren eines Norddeutschen auch seltsam klingen», sagt Sutter. Schweizer seien deshalb lange davon ausgegangen, sie lägen falsch.

Balsam für das Schweizer Sprachbewusstsein

Das stimmt aber gar nicht. Schweizerinnen und Schweizer könnten zu ihren sprachlichen Eigenheiten stehen. Diese hätten ihre Richtigkeit, sagt Sutter.

«Es ist uns ein grosses Anliegen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es nicht ein korrektes Hochdeutsch gibt, das irgendwie so klingt, wie viele Deutsche sprechen.» Eher sei es so, dass es viele gleichwertige Standards gebe.

Helvetismen – also sprachliche Varianten, die nur in der Schweiz vorkommen, – seien auf der Ebene der Grammatik, aber auch auf der Ebene der einzelnen Worte gleich gut und gleich richtig wie Teutonismen – das deutsche Gegenstück dazu. Bei der Variantengrammatik gehe es aber nicht nur darum, dem helvetischen Sprachselbstbewusstsein eine Stütze zu geben.

Sie habe auch einen ganz praktischen Nutzen, erläutert Sutter: «Es gibt jetzt zum ersten Mal eine Handreichung für Lehrer oder Sprachdidaktiker, die beispielsweise Aufsätze korrigieren. So können sie nachsehen, ob etwas korrekt ist oder ob es doch nicht ganz der Standardsprache entspricht.»

Gleicht sich die Sprache an?

Heute könne es passieren, dass Schülern im Deutschunterricht Dinge korrigiert werden, die gleichzeitig in einer Zeitung als korrekt gelten. «Es kann ja nicht sein, dass im Aufsatz eines Schülers etwas angestrichen wird, was er aber am gleichen Morgen im ‹Tagesanzeiger› gelesen hat.»

Die Variantengrammatik schaffe hier Klarheit – und steht deswegen im Internet allen gratis zur Verfügung.

Fraglich ist allerdings, wie lange solche Regeln gelten. Sprache ist etwas Hochlebendiges.

Heute leben Hamburgerinnen in Zürich und Berliner in Bern. Wird sich da über kurz oder lang nicht sowieso alles aneinander angleichen?

Sutter verneint: Die Sprache befinde sich zwar in einem stetigen Wandel und werde sich immer verändern. «Dass sie sich vermischen und angleichen wird, wage ich aber zu bezweifeln. Das ist auch in den letzten Jahren nie passiert.»

Ein Hoch auf die Helvetismen

Es werde immer verschiedene Varianten von Sprachen geben. Die Frage sei, welchen Status man diesen Varianten einräume.

Schweizerinnen und Schweizer dürften wohl auch in Zukunft ihre sprachlichen Sonderheiten pflegen. Das sei gut so, sagt Sutter – und nennt gleich einige ihrer liebsten schweizerischen Spracheigenheiten: «Ich würde niemals sagen, ich parke. Ich parkiere. Und ich grille auch nicht, ich grilliere.»

Halten wir sie also hoch, die Helvetismen. Schön, gibt es sie!

Meistgelesene Artikel