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Corine Pelluchon – Hoffnung angesichts der Klimakrise?
Aus Sternstunde Philosophie vom 03.09.2023.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 59 Minuten 19 Sekunden.
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Ein Hoch auf die Hoffnung Philosophin: «Hoffnung ist das Gegenteil von Optimismus»

Die französische Philosophin Corine Pelluchon kennt das Gefühl der Klima-Angst und der Trauer angesichts von Naturzerstörung. Trotzdem hat sie Hoffnung. Denn wahre Hoffnung, meint sie, entstehe aus Verzweiflung.

Corine Pelluchon

Corine Pelluchon

Philosophin

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Corine Pelluchon ist Philosophin und Professorin an der Université Gustave Eiffel in Paris. Sie schreibt zu Tierethik und Umweltethik. Ihr Buch «Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe» erscheint am 21. September 2023.

SRF: In Ihrem neuen Buch «Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung angesichts der Klimakatastrophe» schreiben Sie, Hoffnung sei das Gegenteil von Optimismus. Wie meinen Sie das?

Corine Pelluchon: Optimismus ist eine Haltung, die einen glauben lässt, man habe die Lösung für alle Probleme. Hoffnung dagegen setzt voraus, dass ich Schwierigkeiten und auch meine eigene Fehlbarkeit erkenne.

Hoffnung ist das Unverhoffte.

Die Klimakrise zwingt uns, vieles infrage zu stellen. Wir müssen lernen, diese negativen Emotionen zu durchqueren, sie zu ertragen und unseren Habitus der Allmacht abzulegen.

Wie zeigt sich dieser Habitus der Allmacht?  

Er ist mit einem dreifachen Herrschaftsdenken verbunden: einer Herrschaft über andere, einer Herrschaft über die Natur ausserhalb von uns und einer Herrschaft über unsere eigene Natur.

Wenn wir dem Unerwarteten Platz machen, dann entsteht Hoffnung.

Heute hat sich alles in Krieg verwandelt: die Landwirtschaft, die Viehzucht, die Beziehung zur Natur, zum Lebendigen, die Politik, die Arbeit unter Konkurrenz. Wenn wir eine reifere Gesellschaft wollen, braucht es Menschen, die sich mit ihrer Endlichkeit und ihrer Verletzlichkeit versöhnen. 

Der Blick in die Zukunft macht vielen Menschen Angst. Manche stürzt er gar in eine Depression. Kennen Sie solche Gefühle?

Ich kenne beides: Phasen der Depression und der Angst. Aus Erfahrung weiss ich, dass es kein Patentrezept gibt. Wenn man aber – und das ist paradox – all die Illusionen und falschen Denkmuster loslässt, die uns in einer bestimmten Erwartungshaltung ständig um uns selbst kreisen lassen, wenn wir dem Unerwarteten Platz machen, dann entsteht Hoffnung. Hoffnung ist das Unverhoffte.

Sie meinen, uns fehle heute eine positive Zukunftsvision, ein Hoffnungshorizont. Wie könnte dieser Horizont aussehen?

Die aktuelle Situation zwingt uns, der Realität ins Auge zu sehen und unsere eigene Verletzlichkeit und die unserer Zivilisation zu erkennen. Wir müssen uns von der Idee der Herrschaft über die Natur lösen. Wir sind ein Stück Natur inmitten der Natur – abhängig, verletzlich, verbunden. Der Dualismus von Natur und Kultur, Mensch und Tier, Vernunft und Gefühl ist ein Kern des Problems.

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Heisst das, wir brauchen einen neuen Glauben an eine Form der Transzendenz – an etwas, das uns übersteigt?

Es gibt zwei Arten, Transzendenz zu denken: eine Trans-Aszendenz, bei der man sich zu dem erhebt, was übernatürlich ist – Gott zum Beispiel. Und eine Trans-Deszendenz, bei der man in die Tiefe denkt, absteigt in die Erkenntnis seiner selbst als fleischliches, verletzliches, sterbliches Wesen.

Es geht um die Tapferkeit zur Zerbrechlichkeit. Das ist die neue Stärke, die wir brauchen.

Durch diese Vertiefung wächst das Bewusstsein, einer Welt anzugehören, die älter und grösser ist als man selbst. Eine Welt, die uns bei unserer Geburt aufgenommen hat und die hoffentlich unseren individuellen Tod überdauern wird. Wenn ich tiefe Verbundenheit mit anderen Lebewesen spüre, dann verspüre ich keine Lust, meine Herrschaft über andere auszuüben.

Brauchen wir also Demut, um neuen Mut zu schöpfen?

Tatsächlich klingt bei «Demut» auch «Mut» mit. Demut heisst, den Mut haben, seine Schwäche zu erkennen. Ich sehe die Demut als eine Methode, die Hindernisse abräumt – unseren Stolz zum Beispiel. Bei Mut denkt man oft an die Haltung eines tapferen Soldaten. Es geht aber eher um die Tapferkeit zur Zerbrechlichkeit. Das ist die neue Stärke, die wir brauchen.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

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Aus dem Archiv: Hoffnung in der Krise
Aus Sternstunde Religion vom 14.03.2021.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 32 Minuten 40 Sekunden.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 03.09.2023, 11:00 Uhr;

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