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Hasskommentare im Netz Ein Journalist trifft seinen Hater

«Kann den wer anzünden bitte?» – dieser Hasskommentar machte den österreichischen Journalisten Florian Klenk neugierig. Denn er war gemeint. Wer schreibt so etwas? Klenk trifft den Verfasser, ist verblüfft und lernt etwas von ihm.

Das Wichtigste in Kürze

  • Florian Klenk, Chefredaktor des österreichischen «Falter», äusserte im Netz den Vorschlag, die österreichischen Nachrichten mit türkischen Untertiteln auszustrahlen, damit sich Einwanderer besser informieren können.
  • Auf den Kommentar folgte ein Shitstorm. Ein Hasskommentar lautete: «Kann den wer anzünden bitte?». Verfasst hat ihn Boris.
  • Der Journalist nahm Boris' Kommentar zum Anlass, die Dynamik der Hasskommentare im Netz zu thematisieren.
  • Journalist Klenk traf auf seinen Hater Boris und schrieb den Artikel «Boris wollte mich verbrennen», der in der Wiener Wochenzeitung «Falter» erschienen ist.

Ein Vorschlag mit Folgen

Florian Klenk hat einen Nerv getroffen. Mit seinem Artikel «Boris wollte mich verbrennen», der in der Wiener Wochenzeitung Falter erschienen ist. Klenk schreibt darin über sein Treffen mit Boris, dem Verfasser eines Hass-Kommentars auf Facebook. «Kann den wer anzünden bitte?» hatte Boris geschrieben und damit Klenk gemeint.

Angefangen hatte die Geschichte mit einer Aussage von Klenk. Er schlug vor, dass das österreichische Fernsehen die Nachrichten optional mit türkischen Untertiteln ausstrahlen könnte, damit sich Türkinnen und Türken in Österreich ausgewogener informieren könnten.

Ein Shitstorm zieht auf

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Florian Klenks Artikel «Boris wollte mich verbrennen» ist am am 08. November 2016 in der Wiener Wochenzeitung Falter erschienen.

Vielleicht ein einfältiger Gedanke, sagt Klenk heute. Innert kürzester Zeit machte der Kommentar die Runde in den sozialen Medien und zog Hasskommentare von der rechten Seite nach sich. Unter anderem auch den von Boris. Wer schreibt so etwas? Florian Klenk begann zu recherchieren.

«Auf seinem Facebookprofil hatte er vieles öffentlich stehen. Das faszinierte mich. Ich konnte sehen, dass Boris eigentlich eine Person der gesellschaftlichen Mitte, wenn nicht sogar einer ländlichen Oberschicht ist», sagt Klenk.

«Er ist kein Industrialisierungsverlierer, kein Entrechteter, kein wütender kleiner Mann, von dem wir immer sprechen und den wir uns herbeifantasieren, als den Wähler von rechten oder rassistischen Parteien.»

Angetrieben von Hass

Klenk fand einen 33-jährigen Mann mit Familie, Haus und gutem Job. Ein Mann, der alles hat. Und einen, der – so zumindest lässt es sein Facebook-Profil vermuten – angetrieben wird von seinem Hass auf Fremde und Flüchtlinge.

Zur Person

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Legende: Imago/SKATA

Florian Klenk, geb. 1973, ist ein österreichischer Jurist, Enthüllungsjournalist und Buchautor. Seit Juni 2012 ist er Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung «Falter».

Wie geht das zusammen?, fragte sich Klenk und kontaktierte Boris. Dieser entschuldigte sich für seinen Kommentar und willigte ein, mit dem Journalisten zu sprechen.

Dynamik der Hasskommentare

Sie treffen sich, reden. Wenig später schreibt Klenk seinen Artikel. Ist nun alles wieder gut? Nicht unbedingt. Klenk denkt heute anders über die Dynamik der Hasskommentare im Netz.

«Verändert hat mich die Einsicht, dass der herkömmliche Journalismus, die Art, wie sich die Menschen politisch bilden, heute für die, die nicht in einer politischen Blase leben, völlig anders abläuft als noch vor einigen Jahren», meint Klenk.

«Die Leute sitzen nicht mehr am Stammtisch, um dort verschiedene Meinungen zu hören. Sie befinden sich zunehmend in einer Echokammer, in der politische Propaganda auf die Leute einwirkt. Das war früher so nicht möglich.»

Das Vertrauen in die Medien verloren

Vor allem die rechten Parteien hätten es verstanden, verärgerte oder verunsicherte Menschen anzusprechen und auf ihre Seite zu holen, sagt Klenk.

Im Netz lässt sich dann eine Informationswelt aufbauen, die die eigene Meinung stützt und andere Meinungen ausklammert. Als Journalist erreiche er Menschen wie Boris fast nicht mehr, weil sie das Vertrauen in die Medien verloren haben.

Leser spüren die Überheblichkeit

Wie gewinnt man dieses Vertrauen zurück? Klenk zögert. Eine schwierige Frage, meint er und sagt, dass Journalisten wieder lernen müssten, besser zuzuhören und besser zu erzählen.

«Wir neigen oft dazu, die Dinge besser zu wissen. Aus dieser Position der Besserwisserei agieren wir oft überheblich. Das spüren Leser. Ich glaube, dass man auch sehr distanziert über jemanden schreiben kann, dessen Meinung man nicht teilt, indem man etwas erklärt.»

Er stehe heute immer noch in Kontakt mit Boris, erzählt Klenk. Sie schreiben einander Mails. Boris sei eigentlich ein offener und humorvoller Mensch. Sein Kommentar tue ihm heute leid. Er habe wohl erst durch diese Geschichte realisiert, welche Wucht die sozialen Medien entwickeln können – gegen innen und gegen aussen.

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