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Gesellschaft & Religion Ein Schockerlebnis soll den Bau von Latrinen fördern

Über 2 Milliarden Menschen müssen weltweit ohne ausreichende sanitäre Anlagen auskommen, fast eine Milliarde verrichtet ihr Geschäft im Freien. Das gefährdet ihre Gesundheit. Eine ungewohnte Methode soll zum Bau von Latrinen bewegen. Im tansanischen Dorf Soera hat das funktioniert.

Das Dorf Soera ist in vielem typisch für Tansania. Die einfachen Häuser liegen verstreut auf einem trockenen Hügelzug. Die Kinder der Bauern müssen ihre kleinen Herden aus Ziegen und Kühen lange über das staubige Grasland führen, bis die Tiere satt sind. Jeder Schilling wird hier mehrfach umgedreht, bevor er ausgegeben wird.

Erkrankungen fordern Tote

Bis vor kurzem benutzten viele Dorfbewohner ein einfaches Loch im Boden als Latrine. Viele hatten gar kein Klo, sie gingen in die Büsche. «Ein grosses Problem im Dorf waren Durchfallerkrankungen», sagt Shabani Naulidi, der Dorfchef. «Es gab ein Jahr, da starben gleich fünf Kleinkinder daran und zwei Erwachsene.»

Trotzdem sei kaum jemand auf die Idee gekommen, eine gute Latrine zu bauen. Ausser die Frauen, sagt Tatu Salimi Mori: «Wir wollten schon lange bessere Aborte, aber unsere Männer liessen sich nicht umstimmen.»

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Die weltweite Verfügbarkeit von Trinkwasser gehört zu den Millenniums-Entwicklungszielen der UNO. «Kontext» befasst sich am 9. September mit diesen Zielen und berichtet ebenfalls über Tansania.

Scham, Ekel und Angst

Ein Team des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts kam ins Dorf, um die Gesundheit der Menschen in der Region zu verbessern. Sie möchten die Bevölkerung davon überzeugen, dass jede Familie eine gute Latrine braucht.

Eine unkonventionelle Methode, die aus Südasien stammt und dort für Furore gesorgt hat, kommt zur Anwendung. Ein Mitarbeiter des Teams versammelt das ganze Dorf ausgerechnet an jenem stinkenden Ort, wo die unaussprechbaren Geschäfte verrichtet werden. Scham, Ekel und Angst sollen die Trägheit der Dorfbewohner zum Handeln überwinden.

Schockmethode soll helfen

Ein Mitarbeiter des Teams wirft ein Stückchen frischen Kot in eine Flasche Wasser, schüttelt, und fragt einen Freiwilligen, ob er davon trinken will, erzählt Ally Kebby vom Projektteam. «Aber sie wollen dann nicht einmal mehr die Flasche in die Hand nehmen. Das ganze Dorf schüttelt sich vor Ekel. Einzelne haben sich auch schon übergeben.»

Eine Latrine in Tansania: Eine Hüte aus Bachsteinen ist zu sehen, vor der Tür hängen zwei Flaschen.
Legende: Durchfallerkrankungen waren ein grosses Problem in Soera, nun hat das Dorf Latrinen. SRF/Thomas Häusler

Nun werden die Beschämten und Geekelten informiert, zum Zweck der aufgeklärten Angst. Die Bewohner erfahren, dass Bakterien aus ihrem Kot in die Brunnen gelangen können, dass Fliegen sie auf ihre Teller tragen.

Eine Latrine für jede Familie

Danach sei das Dorf reif gewesen für den Latrinenbau, sagt der Obmann Shabani Naulidi. Allerdings fehlte es am nötigen Baumaterial und am Wissen. Darum erhielt das Dorf vom Projektteam Werkzeuge. Ausserdem wurden einige Bewohner zu Latrinenhandwerkern ausgebildet. Sie können nun aus Zement und Eisengittern die Bodenplatten für eine hygienische Latrine herstellen. Diese haben ein verschliessbares Loch in der Mitte und daneben zwei Erhöhungen für die Füsse.

Das Material und die Arbeit für den Bau der Latrinen bezahlten und leisteten die Dorfbewohner selbst. Innerhalb von Monaten hatten alle Familien eine Latrine.

Mission geht weiter

Mangelndes Gesundheitspersonal

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Drei Ärzte auf 100'000 Menschen: In kaum einem Land ist der Mangel an medizinischen Fachkräften so gross wie in Tansania. Zudem ist Infrastruktur in den Spitälern oft mangelhaft – Trinkwasser und Strom keine Selbstverständlichkeit. Ein Besuch in einem Spital, wo medizinisch Grundlegendes neu ist.

Das Dorf Soera sticht heraus. Kaum ein Ort in Tansania hat so schnell so viele Toiletten gebaut. Andernorts geht es langsamer zu und her. Im ländlichen Distrikt, in dem Soera liegt, leben 290'000 Menschen. Die Hälfte geniesst bereits eine anständige Latrine, 40 Prozent quält sich mit einem Erdloch und ein Zehntel geht in die Büsche.

«Die Traditionen sind stark», meint Projektteam-Leiter Ally Kebby. «Wir müssen immer wieder in die Dörfer gehen und die Leute weiter überzeugen.»

Auszeichnung für das Dorf Soera

Die Bewohner Soeras aber sind zufrieden – besonders die Frauen. «Seit unsere Familie eine Latrine hat, leiden die Kinder viel weniger an Durchfall. Auch die älteren Leute sind gesünder, alle», sagt etwa Tatu Salimi Mori. «Für Frauen ist es nun auf jeden Fall besser: Die alten Latrinen boten kaum Schutz vor fremden Blicken – und wenn man keine hatte, war es sowieso sehr unangenehm.»

Vor kurzem gewann der Ort einen nationalen Preis in Sachen sanitäre Anlagen. Dafür gab es ein Motorrad für das Dorf und ein Fest, an dem die Bewohner Soeras die Vorzüge eines hygienischen Klos gepriesen haben. Nun herrscht Stolz – keine Scham und kein Ekel.

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