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Gesellschaft & Religion Ein Terroranschlag – und niemand schaut hin?

Wie prekär der Terrorismus und die Medien zusammenhängen, wird nach den Anschlägen im Herzen Brüssels wieder intensiv diskutiert. Die Berichterstattung auf allen Kanälen sei für Terroristen eine Belohnung und vollende erst ihre Anschläge, sagt der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk. Hat er Recht?

Peter Sloterdijk ist derzeit ein schwer geprügelter Philosoph. Wegen seiner Äusserungen über die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ebenso wegen seiner bösen Bemerkungen über das Verhalten der Medien bei Terroranschlägen. Deshalb wird er nun von eben diesen Medien in die neorechte Ecke gestellt. Für einmal ein zuverlässiges Indiz dafür, dass er einen wunden Punkt getroffen hat.

Peter Sloterdijk, Nahaufnahme, mit Brille auf der Nase leicht seitlich schauend.
Legende: Peter Sloterdijk sieht in den Medien zu viel Aufmerksamkeit für Terrorismus. Imago/Stephan Wallocha

Die Medien sind nicht nur Überbringer

Er bezeichnete in der Februarausgabe der Zeitschrift «Cicero» die flächendeckende mediale Spiegelung von Terrorattacken als «Terror-Reklame-Service». Sind die Medien – und natürlich auch die sozialen Medien – für den deutschen Chefdenker also blosse PR-Instrumente im Dienste des IS und anderer Terror-Organisationen?

Auf jeden Fall sind die Medien nicht einfach nur Überbringer der schlechten Botschaften, sondern unfreiwillig auch Mitspieler. Das heisst nicht, dass sie an allem Schuld sind, also auch am islamistischen Terror. Tatsache ist aber: Die Terroristen und ihre Verbündeten fassen in ihren Netzwerken die flächendeckende mediale Verbreitung wie eine Belohnung auf.

Buchhinweis

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In seinem neuen Buch «Was geschah im 20. Jahrhundert?» (Suhrkamp, 2016) beschäftigt sich Peter Sloterdijk auch vertieft mit dem Zusammenhang zwischen Terrorismus und Öffentlichkeit.

Die globale Aufmerksamkeit vollendet die Taten

Sloterdijk fragt zu Recht, worin denn der Aufklärungswert liegt, wenn die Medien schon wenige Minuten nach einem Anschlag gebannt und wie geblendet auf die verübten Gewalttaten starren und diesem alles andere unterordnen. Die grausamen Taten der Terroristen würden erst dadurch vollendet, dass die Medien ihnen globale Aufmerksamkeit verschaffen.

Der Philosoph empfiehlt, Terroranschläge wenn nicht zu ignorieren, so doch öfter aus den Headlines zu verbannen. Aber unsere durchmediatisierte Gesellschaft tut sich schwer mit freiwilliger Selbstbeschränkung; erst recht, wenn es um die Freiheit zur Meinungsäusserung und Berichterstattung – beziehungsweise Sensationsbewirtschaftung – geht. Das weiss auch Peter Sloterdijk.

Keine staatlich aufgezwungene Zensur

Es lohnt sich dennoch, sein zentrales Argument zu bedenken. Nämlich, dass die «Schweigewaffe» zuweilen die stärkste Waffe gegen den islamistischen Terror wäre. Man kann den Terror so zwar nicht auslöschen, aber in seiner Wirksamkeit einschränken.

Andererseits: Ist es von dieser freiwilligen Selbstzensur nicht ein gefährlich kleiner Schritt zu jener staatlich verordneten Zensur, wie sie etwa in Russland oder in der Türkei praktiziert wird. Auch in diesen Ländern finden trotzdem islamistische Terroranschläge statt.

Sloterdijk will sicher keine staatlich aufgezwungene Zensur. Ihm geht es um eine im besten Sinn der Aufklärung aus der Vernunft und aus freiem Willen geborene Einsicht: Dass sich die Medien nicht widerstandslos in eine perverse Nahrungskette stellen, indem sie den Terroristen die weltweite Geltung und also Belohnung verschaffen, die diese anstreben. Um nochmals mit Peter Sloterdijk zu reden: Manchmal liesse sich der Schrecken durch Nichtbeachtung ächten.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 24.3.2016, 17:10 Uhr

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