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Gesellschaft & Religion Eine ID macht illegale Einwohner zu offiziellen New Yorkern

Das tönt selbst für New York verrückt: Eine neue Identitätskarte weist jeden als New Yorker aus, der in der Stadt seinen Wohnsitz hat – selbst Sans-Papiers und Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Die Karte findet grossen Anklang. Auch dank einigen Extras.

Was macht einen New Yorker zu einem New Yorker? Die Fähigkeit, sämtliche Baustellen auf der Strecke der Subway-Linie L aufzuzählen? Das Talent, ein stilgerecht gefaltetes Stück Pizza verschlingend und mit dem Handy am Ohr bei Rotlicht den Broadway zu überqueren, ohne überfahren zu werden? Derlei Kunstfertigkeiten sind hilfreich. Doch das ultimative Eingeborenenabzeichen besteht neuerdings in einem offiziellen Stück Plastik.

Ab sofort stellt die Stadt New York nämlich allen, die ihren Wohnsitz in einem der fünf Bezirke nachweisen können, eine städtische Identitätskarte aus. Und zwar – das ist das Besondere an der «IDNYC» – unabhängig davon, ob die Antragsteller über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügen oder nicht.

Die Karte erleichtert den Alltag

Die Stadt verspricht sich von dieser Initiative ein geregelteres Zusammenleben. Bei Un- oder Notfällen weiss die Polizei von nun an, mit wem sie es zu tun hat. In Krankenhäusern haben die Eingelieferten Namen.

Migranten wiederum erleichtert eine gültige ID den Alltag unendlich. Denn in viele öffentliche Gebäude oder Bürohäuser kommt man ohne Ausweis gar nicht hinein. Um eine Schule zu besuchen und abzuschliessen, braucht man eine ID. Um ein Bankkonto zu eröffnen oder um eine Wohnung zu mieten ebenfalls.

Eine Frau mit Kopftuch verteilt Broschüren mit der Aufschrift "IDNYC"
Legende: Eine Angestellte der Stadt informiert in einer Bibliothek über die «IDNYC». Reuters

Natürlich ist es ein bisschen wie mit dem Huhn und dem Ei: Wie liefert jemand ohne Papiere einen Wohnnachweis? Daran haben die Verantwortlichen gedacht. In manchen Fällen reicht eine Adresse von Verwandten oder Bekannten, die für die Person bürgen. Als Identitätsnachweis werden abgelaufene Pässe ebenso akzeptiert wie verblichene Geburtsurkunden. Ziel ist es, die geschätzte halbe Million Sans-Papiers aus dem Schatten zu locken – nicht, um sie auszuschaffen, sondern um sie zu integrieren.

Anmeldezentren werden überrannt

Der Umfang und der bisherige Erfolg dieses Programms sind eine amerikanische Premiere. Bereits am ersten Tag wurden die Anmeldezentren regelrecht überrannt. Die Befürchtung, dass sich Papierlose und illegale Einwanderer zu erkennen geben, wenn sie eine ID beantragen, hat die Menschen nicht davon abgehalten, für einen Ausweis anzustehen. Vielmehr warteten Mitglieder der alteingesessenen Upper-East-Side-Aristokratie ebenso wie mexikanische Küchenhilfen für das begehrte Dokument einträchtig und stundenlang hintereinander in der Schlange.

Eine Idee wird in New York konkret

Es gibt mehr zugereiste als gebürtige New Yorker. Die wenigsten Einwohner dieser Stadt verfügen über eine gemeinsame Geschichte, viele sprechen nicht einmal dieselbe Sprache. Das gilt für die gesamten USA. Was die Vereinigten Staaten zusammenhält, ist die Idee, dass jeder in diesem Land anerkannt wird, der sich als Teil dieses Landes fühlt.

New York hat diese Idee nun konkret umgesetzt. Wer hier die steinerweichende Sommerhitze erträgt und den giftigen Winterwinden trotzt, wer weiss, dass eine «Egg Cream» weder Eier noch Rahm enthält (sondern Milch, Mineralwasser und Schokoladensirup) – der daf sich «New Yorker» nennen.

Eine Karte mit Kulturbonus

Und weil New York eben doch nicht ganz so ist wie der Rest Amerikas, kommt die «IDNYC» mit einem Kulturbonus. Das Kärtchen berechtigt seine Inhaber nämlich zu einer einjährigen Gratismitgliedschaft bei diversen Kulturininstitutionen, vom Metropolitan Museum bis zur Carnegie Hall und gilt auch als Bibliotheksausweis. Das Streiten über Pluralismus und Assimilation überlässt man in New York City anderen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 21.1.2015, 17.06 Uhr

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