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Eklat an der ETH Wenn ein angeblicher Schweinevergleich zur Staatsaffäre wird

ETH-Professor Dirk Helbing will den Einsatz von Algorithmen diskutieren. Er bringt in einer Vorlesung Beispiele: Man könne Geräte steuern, Schweine füttern – oder auch Menschen kontrollieren, so wie das in China teilweise geschehe.

Es folgt ein heftiger Sturm der Entrüstung : Chinesische Studierende fühlen sich rassistisch behandelt, weil sie mit Schweinen gleichgesetzt würden. Ein weiterer Fall von Cancel-Culture an einer Universität? China-Experte Ralph Weber meint, es sei komplizierter.

Ralph Weber

Professor

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Der Philosoph und Politikwissenschaftler ist Professor am Europainstitut der Universität Basel.

SRF: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Fall hörten?

Ralph Weber: Ich habe die fragliche Folie vor zwei Wochen gesehen: Die Auflistung ist erklärungsbedürftig. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, sie wurde als Angriff gegen Chinesinnen und Chinesen insgesamt interpretiert. Dabei ging es um das Algorithmen-gesteuerte System für wünschbares soziales Verhalten, das China erprobt.

Es waren zunächst Einzelpersonen, die den ETH-Professor anprangerten. Schnell habe auch chinesische Propaganda mitgemischt, sagen Sie. Wo genau ist die Verbindung?

Ich habe mir die chinesischen Chats der Studenten angesehen. Da fragt einer, wer die Webseite zum Protest eingerichtet habe, und ein anderer sagt, das sei die chinesische Studierenden-Vereinigung gewesen.

Der chinesische Propaganda-Apparat hat ein Interesse daran, liberal-demokratische Gesellschaften als problembehaftet dazustellen.

Diese Vereinigungen gibt es an jeder Schweizer Uni. Sie sind Teil der «Chinese Students and Scholars Association» (CSSA) - und Chinas Staatspartei unterstellt.

Die Schweizer Ableger sind an die chinesische Botschaft gekoppelt und werden von dort mitfinanziert. Und sie arbeiten auch mit der «Chinese Association of Science and Technology in Switzerland» zusammen. Diese gehört ebenfalls zur sogenannten kommunistischen Einheitsfront Chinas.

Warum interessiert es Chinas Staatspartei, wenn sich in der kleinen Schweiz ein kleiner ETH-Professor ungeschickt äussert?

Der chinesische Propaganda-Apparat hat ein Interesse daran, liberal-demokratische Gesellschaften als problembehaftet, ungeordnet und letztlich als unfair dazustellen. Solche Vorwürfe, bei denen es um Rassismus geht – auch wenn er nur vermeintlich ist –, passen in dieses Muster.

Alles, was die Polarisierung in liberalen und demokratischen Gesellschaften fördert, wird vom chinesischen Propaganda-Apparat aufgenommen.

Der gewünschte Effekt in den Köpfen der Menschen ist, sich zu fragen, ob autoritäre politische System wirklich so viel schlechter sind. Oder ob sie nicht vielleicht sogar besser sind als unsere demokratischen.

Alles, was die Polarisierung in liberalen und demokratischen Gesellschaften fördert, wird aufgenommen. Das können Rassismus-Vorwürfe sein, aber auch Empörung über Cancel-Culture. Beide zeigen, dass «der Westen» eben doch nicht so vorbildlich ist. Das ist im Interesse der chinesischen Staatspartei.

Es ist eben mehrschichtig. Wir müssen einen Umgang damit finden, wie wir Probleme wie Rassismus und Sexismus thematisieren können, ohne eine Agenda zu befördern, die womöglich nicht in unserem Sinn ist.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 14.03.2022, 8:15h ; 

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