Zum Inhalt springen

Erfahrungen im Fernunterricht Mehr Freiheit, mehr Freizeit, mehr Frust

Bis zu den Sommerferien fand Schule im Kinderzimmer, am Küchentisch oder auf dem Sofa statt. Ging das gut? Vier Schülerinnen und Schüler erinnern sich an Hürden und Highlights des Homeschoolings.

Weniger Austausch, mehr Ablenkung: Cyril, 18 Jahre, BMS- und Berufsschüler, Lupfig (AG)

Aufstehen, Dusche, Frühstück, Laptop an: Schon sass Cyril «in der Schule». Klappte er am Mittag oder am Abend den Laptop zu, war er wieder «zu Hause».

Für einen Berufsschüler mit zwei Stunden Schulweg pro Tag ein riesiger Vorteil. Ein zweiter Vorteil: mehr Freiheit. Schule sollte sowieso neu gedacht werden, findet Cyril. Individualisierter und mit mehr Mitbestimmung, was wann gemacht werden darf.

Schule sollte sowieso neu gedacht werden, individueller sein.
Autor: Cyril (18) BMS-Schüler

Während des Homeschoolings merkte der 18-Jährige schnell, dass seine Idealvorstellung von Schule noch eine Ergänzung braucht: Direktes Coaching durch Lehrpersonen, die ihm gewisse Fixpunkte vorgeben. Cyril war im Fernunterricht schneller abgelenkt als sonst. Handy, Tablet, Fernsehen verführten ihn zum Abschweifen.

Trotz Videochats mit der Klasse: Der Austausch mit Mitschülerinnen und Freunden, so Cyrils Fazit, hat ihm in der Zeit des Fernunterrichts am meisten gefehlt. Ob aber das gemeinsame Mittagessen die Zugfahrt entschädigt, wird er wohl erst jetzt, in seinem zweitletzten Schuljahr an der Berufsschule, herausfinden.

Mehr Freizeit, weniger Spass: Selma, 8 Jahre und Andrina, 11 Jahre, Primarschülerinnen, Basel-Stadt

Vier Kinder lernen an einem Tisch
Legende: Wir haben die Schülerinnen gebeten, uns ein Bild ihres temporären Lern-Orts zu schicken. Am Küchentisch sitzen (v.l.n.r.): Selma, die gemeinsame Freundin Luine, Andrina und die kleine Schwester Dana. Privat

Für Selma und Andrina verwandelte sich die Küche seit diesem März jeden Morgen in ein Schulzimmer. Sobald eine der Schwestern um circa 9 Uhr die Glocke bei der Treppe läutete, begann das «Schulemachen» bis zum Mittagessen.

Die Drittklässlerin Selma bekam jede Woche ein Couvert mit einem Wochenplan und Arbeitsblättern. Das bedeutet für die 8-Jährige, dass sie die vielen Aufgaben selbstständig auf die Woche verteilen musste. Das fiel ihr schwer bis zum Schluss. Sie fand den Wochenplan sehr voll, wollte ihn aber ganz schaffen. Dadurch fühlte sie sich ständig im Rückstand.

Schule hat in dieser Zeit keinen Spass gemacht.
Autor: Selma (8) und Andrina (11) Dritt- und Fünftklässlerin

Andrina fiel es etwas leichter. Doch auch für die Fünftklässlerin bedeutete Homeschooling Druck. Sie weiss, dass sie in dieser Zeit weniger Stoff gelernt hat als in einem normalen Schulsemester. Würde die Schule nochmals schliessen, hätte sie Angst, dass ihr dann zu viel Stoff fehlt, um weiterhin gut in der Schule zu sein.

Das Fazit der beiden: Schule hat in dieser Zeit keinen Spass gemacht. Sie vermissten die Lehrpersonen, die ihnen sagten, was sie wann tun sollen und sie unterstützen.

Dafür waren die Nachmittage mit ihren Freundinnen umso schöner. Dann machten die Schwestern meistens nichts für die Schule – lernten aber auch in dieser Freizeit viel. Andrina zum Beispiel hat in dieser Zeit gelernt, mit der Kamera umzugehen und eine eigene TV-Sendung entwickelt.

Digitale Hürden gemeistert: Anouk, 14 Jahre, 8. Klasse, Bottmingen (BL)

Eine junge Frau sitz an einem Schreibtisch.
Legende: Am Schreibtisch in ihrem Zimmer: hier lernte Anouk während des Fernunterrichts. Privat

Freitagnachmittag, 13. März: Anouks Klasse sass im Chemieunterricht, hörte Radio und freute sich. Die Schulen würden ab Montag geschlossen. Zu Hause beschlich Anouk aber ein komisches Gefühl der Unsicherheit. Was erwartete sie nun?

Am Montag kam nach langem Warten eine E-Mail mit einem einzigen Auftrag: regelmässig die E-Mails zu checken. Am Dienstag dann der nächste: Anouk sollte sich «Microsoft Teams» herunterladen.

Alleine im Zimmer am Pult zu sitzen, fand ich wenig effizient.
Autor: Anouk (14) Schülerin 8. Klasse

Damit begann für Anouk eine Zeit, in der sie sich ständig unter Druck gesetzt fühlte. Mit der neuen App hatte sie noch nie gearbeitet und eine Einführung durch ihre Lehrpersonen bekam sie nicht. Trotzdem war diese App auf ihrem Handy jetzt ihre Türe zum Unterricht: Arbeitsaufträge wurden darüber schriftlich verteilt und auch eingesammelt. Sie tat sich schwer damit.

Auch alleine im Zimmer am Pult zu sitzen, fand Anouk wenig effizient. Ihre Eltern konnten sie auch nicht jederzeit unterstützen. Anouks jüngere Geschwister im Primarschulalter waren deutlich angewiesener auf sie. Und schliesslich mussten auch die Erwachsenen arbeiten, im Homeoffice versteht sich.

Anouk meisterte die Hürden. Mit der Technik klarzukommen und sich die Zeit selbst einzuteilen, das hat sie in den letzten Monaten gelernt. Die Freude, wieder Freundinnen und Freunde zu sehen, war nun riesig: Die Stimmung in der Klasse erscheint Anouk viel besser als zuvor.

Leichtfüssig durch den Lockdown: Len, 11 Jahre, 5. Klasse, Dennigkofen (BE)

Ein schwarzer Sitzsack mit weissen englischen Begriffen aufgedruckt.
Legende: «Chill out», «relax» – Lens Bild zeigt: Sein temporärer Lernort war bequemer als das übliche Schulpult. Privat

Für Len begann der Schultag während des Lockdowns bequem im Sitzsack vor dem Laptop. In seiner Klasse haben alle bereits ein persönliches Schulgerät. Jeden Morgen versammelte seine Klassenlehrerin die Klasse um 9 Uhr zu einem Meeting.

Schule von zu Hause aus: Für Len bedeutete das die grösste Freiheit. Ihm gefiel es und es fiel ihm auch leicht. Im Morgenmeeting bekam er die Arbeitsaufträge der Lehrerin mit festen Deadlines.

In der Schule hätte ich während dieser Zeit weniger gelernt.
Autor: Len (11) Fünftklässler

Manchmal machte Len auch an den freiwilligen Gruppenchats mit anderen Kindern aus seiner Klasse mit. Dort wurde diskutiert, sich gegenseitig Dinge erklärt oder einfach mit anderen an den Arbeitsaufträgen gearbeitet.

In der Schule hätte er während dieser Zeit weniger gelernt, ist Len überzeugt. Zu Hause kann er die Dinge dann erledigen, wann er will. Das ist einfach «gäbiger» und cooler für den 11-Jährigen.

Durch das Homeschooling hat Len eine Vorstellung, wie Schule für ihn auch in Zukunft sein sollte: Drei Tage in der Schule, zwei Tage Homeschooling. Er möchte weiterhin selbst bestimmen, wie er lernt: Musik hören, sich mit Freunden austauschen und vor allem selbst entscheiden, wie er seine Zeit einteilt.

SRF 1, Tagesschau, 10.8.2020, 19:30 Uhr

Meistgelesene Artikel