Woran merkt man, dass der SP-Politiker und Nationalratspräsident praktizierender Christ ist? Vielleicht an seiner Haltung, wie er anderen Menschen und auch Andersdenkenden gern begegnen möchte. Dazu passt ein Bibelvers, der die sogenannte Jahreslosung für 2024 ist: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.»
Eric Nussbaumer legt sie als Christ und Politiker so aus: «Den anderen Menschen so zu nehmen, wie er ist, und auf ihn zuzugehen – und nicht ablehnende Gefühle als Grundmotiv in der Begegnung mit anderen Menschen zuzulassen.»
Als «oberster Schweizer» wacht Eric Nussbaumer über den Debattierton im Parlament. Der müsse wieder von mehr Respekt und echter Offenheit aller für alle geprägt sein, egal, welche politische oder religiöse Position ein Mensch hat.
Rigide Glaubenslehre lehnt er ab
Bibelverse bedeuteten ihm viel. Sie begleiten und leiten ihn durchs Leben. Familiär verwurzelt ist Nussbaumer in der mennonitisch-täuferischen Gemeinschaft. Dass er heute Methodist ist, habe mit seinen Eltern zu tun. Die lebten lange an Orten, wo es keine Täufergemeinde gab.
Der Vertrauensverlust der römisch-katholischen Kirche ist enorm. Ich verstehe, wenn die Leute austreten.
So ist Eric Nussbaumer in der methodistischen Jugendarbeit gross und stark geworden. In dieser Kirche habe er Gemeinschaft und Freiheit erlebt. Beides macht für ihn Kirche aus. «Miteinander unterwegs zu sein, das war für mich immer ein wichtiges Element in der Kirche.»
Mit rigiden Glaubenslehren will er nichts zu schaffen haben. Nussbaumer distanziert sich von solchen Kirchen und Religionen, die gerade nicht freimachen, sondern einengen: «Kirche muss uns helfen, das Leben gemeinsam zu meistern. Sonst hat sie keine Berechtigung.»
Keine Sonderstellung für Kirchen
Religion müsse sich in unsere demokratische Grundordnung einfügen und zum Wohl der Gesamtgesellschaft wirken. Das täten die allermeisten Kirchen und religiösen Gemeinden in der Schweiz. Hier ist der SP-Politiker auch bereit, die Kirchen gegenüber unsachgemässe Kritik zu verteidigen. Eine Sonderstellung hätten die Kirchen aber nicht.
Diverse Studien durchleuchten aktuell die sozialen und kulturellen Leistungen der Landeskirchen kritisch. Auch in Nussbaumers Kanton Basel-Land. Das findet Nussbaumer nur recht und billig: «Wir leben schliesslich in einer pluralistischen Gesellschaft.»
Im Kanton Zürich wurde die neueste Studie über die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Kirchen sehr kritisch aufgenommen. Die sogenannte « Widmer Studie » erschien letzten November. Ihr Fazit: Die Leistungen der Kirchen seien qualitativ zwar gut, würden aber quantitativ zu wenig wahrgenommen.
Der Kanton Zürich überlege sich nun, über die Bücher zu gehen, was die finanzielle Unterstützung kirchlicher Tätigkeiten betrifft.
Religionsfreiheit schützen
Die Kirchen, vor allem die Landeskirchen, stehen also unter Beobachtung. Sie müssen sich und ihre Leistungen wegen der Kirchensteuer transparent machen und öffentlich legitimieren. Der Sozialdemokrat Nussbaumer sieht das ganz gelassen und als selbstverständlich an.
Der schwindende Einfluss der Kirchen mache ihm keine Angst. Das sei in einer säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft so. Dazu gehöre umgekehrt die Religionsfreiheit, die gelte es zu schützen, ebenso wie den interreligiösen Frieden. Hier sei die Schweiz gut unterwegs.
Als Freikirchler kennt Eric Nussbaumer Kirche ohnehin nur als privates Engagement. «Der christliche Glaube hat eine persönliche Dimension. Er hat aber immer auch eine zwischenmenschliche, gesellschaftliche Dimension. Und das versuche ich auch heute noch immer so zu praktizieren.»
Freiwilligenarbeit prägen seine methodistische Kirche. Sie ist innovativ und agil: Es gibt Projektstellen für Schlagerpfarrer, Gassenküchen, Pop-up-Kirchen, Safe Space für christliche LGBTQI+ und Online-Seelsorge. Funktioniert ein Projekt nicht mehr, erreicht ein Angebot zu wenig Menschen, wird es eingestellt und etwas Neues entwickelt.
Von den Methodisten lernen?
Ob sich die Landeskirchen von der Agilität der Methodisten abgucken könnten, alte Zöpfe abzuschneiden? Alte Zöpfe abschneiden müsse die Kirche immer, sagt Eric Nussbaumer, «vor allem, wenn die Zöpfe schwer und unfrei machen».
So blickt Eric Nussbaumer mit Unverständnis auf Reformstau und Krise in der römisch-katholischen Kirche. Hier ist sogar Unmut zu spüren beim ansonsten so sanftmütigen Nationalratspräsidenten: «Der Vertrauensverlust ist enorm. Ich verstehe, wenn die Leute austreten. Obwohl das nicht meine Kirchenerfahrung ist. Ich habe so etwas nie erlebt in meiner Kirche.»
Die Missbrauchsgeschichte in der römisch-katholischen Kirche schmerze jeden Kirchenchristen. Sexuelle Übergriffe und Machtmissbräuche: «So etwas darf einer Kirche einfach nicht passieren!»
Politik am Küchentisch der Nussbaumers
Bei den evangelischen Nussbaumers zu Hause lag wohl immer das Losungsbüchlein neben der Tageszeitung auf dem Zmorgetisch. Schon Eric Nussbaumers Eltern und Grosseltern waren politische Menschen, übernahmen Ämter. Das war ungewöhnlich.
Denn: Täuferfamilien wie die Nussbaumers waren lange auf Distanz geblieben zum Staat. Auch weil sie wegen ihres Pazifismus und Nonkonformismus jahrhundertelang verfolgt, vertrieben, ja sogar getötet wurden vom Staat.
Politisiert in der Friedensbewegung
Eric Nussbaumer ist französisch-schweizerischer Doppelbürger, geboren in Mulhouse, und seit Jahrzehnten daheim in der Grenzregion Basel-Land. Auch das macht ihn zum überzeugten Europäer. Er präsidiert sogar die europäische Bewegung der Schweiz.
Als junger Mann war Nussbaumer pazifistisch eingestellt. Er verweigerte den Dienst an der Waffe jedoch nicht total. Anders als seine täuferischen Cousins, die für die Dienstverweigerung ins Gefängnis gingen. Aber Nussbaumer legte die Waffe nach der RS ab.
In den 1980er-Jahren glaubte er an die friedensstiftende Kraft internationaler Organisationen wie der UNO. Deren Machtlosigkeit heute schockiert ihn.
Enttäuscht von der Schwäche der UNO
Angesichts des Ukrainekriegs habe er schmerzhaft umdenken müssen, gibt Eric Nussbaumer zu: «Dem aggressiven Neo-Imperialismus wie auch dem Terrorismus kommt man mit gewaltfreier Intervention einfach nicht bei.»
Diese Einsicht macht ihn traurig: Die Menschheit scheint aus den beiden Weltkriegen und der Errungenschaft des Multilateralismus der UNO nicht nachhaltig gelernt zu haben.