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Erklärung der Menschenrechte «Menschenrechte sind nicht für Staaten, sondern für Menschen»

Mit der « Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» (AEMR) reagierte die Staatengemeinschaft auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. In 30 Artikeln formulierten die Vereinten Nationen die bürgerlichen, politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte, die allen Menschen zustehen.

Was leistet diese Erklärung, was nicht? Fragen an die Völkerrechtlerin Christine Kaufmann von der Universität Zürich.

Christine Kaufmann

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Christine Kaufmann ist Rechtsprofessorin an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den staatsrechtlichen Auswirkungen der Globalisierung, den Schnittstellen zwischen internationalem Handelsrecht und Menschenrechten sowie dem Verhältnis von internationalem Handels- und Finanzsystem.

SRF: Warum gibt es überhaupt eine Menschenrechtserklärung?

Christine Kaufmann: Was wir heute als Menschenrechte bezeichnen, hat seinen Ursprung im nationalen Recht. Die erste moderne Menschenrechtserklärung war 1776 die «Virginia Bill of Rights», dann folgten die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die französische Revolution.

In jener Zeit gelten diese Rechte nur für Staatsbürger – und häufig nicht für Frauen und Ausländer. Das ändert sich erst 1948 mit der «AEMR». Bis 1948 haben wir als Menschen im Völkerrecht gar nicht existiert. Wir hatten keine Rechte, die wir gegenüber Staaten geltend machen konnten.

Eleanor Roosevelt hält die Menschenrechtserklärung.
Legende: Ein riesiges Stück Papier mit grosser Bedeutung: Eleanor Roosevelt hält die Menschenrechtserklärung (1948). Getty Images / FPG

Was kann die «AEMR» als unverbindliche Erklärung leisten?

1948 setzen wir einen Meilenstein: Erstmals in der Geschichte haben wir einen Katalog von Rechten, der allen Menschen zusteht. Natürlich ist die «AEMR» unverbindlich. Sie war aber als Programm gedacht, als erster Schritt. Weil der Kalte Krieg dazwischen kam, kamen die beiden verbindlichen UNO-Menschenrechtspakte erst 1966 zustande.

Die «AEMR» entfaltete zunächst also ideelle Wirkung?

Ja, sie wurde zu einem Kompass, den die Staaten und die Individuen immer wieder benutzen, um sich zu erinnern: Welche Rechte stehen einem Menschen zu, jederzeit und ohne Vorbehalt? Einfach, weil er Mensch ist.

Was kann die «AEMR» nicht leisten?

Sie gibt mir keinen Zugang zu einem Gericht, keinen konkreten Anspruch gegenüber einem Staat. Aber die «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» hat sich fast wie ein Virus verbreitet.

Ein «Gilet Jaune» in einer Nebelschwade.
Legende: Kampf im Namen der Brüderlichkeit, der Menschenrechte? Ein «Gilet Jaune» in Paris. Keystone / EPA / Julien de Rosa

Sie wurde von vielen nationalen Gerichten aufgenommen, in viele nationale Verfassungen. Sie hat einen Grund gelegt für die Konkretisierung dieser Rechte. Das darf man nicht unterschätzen.

Was nützt die «AEMR» einem kleinen Land wie der Schweiz?

Die Schweiz hat eine lange Tradition im Bereich der Menschenrechte. Wir pflegen mit Genf ja ihren internationalen Standort, sodass wir die politische Verpflichtung haben, nicht nur darüber zu reden, sondern den Worten Taten folgen zu lassen. Wir dürfen auch stolz sein auf die Expertise, die die Schweiz vorzuweisen hat.

Und das Wichtigste: Das sind natürlich wir! Menschenrechte sind nicht für Staaten, sondern für Menschen. Gerade in einem kleinen Land ist es wichtig, diese Tradition zu pflegen. Auch der Schutz von Minderheiten, die auch in einem demokratischen System unter der Mehrheit leiden können, wird gestärkt.

Das Gespräch führte Raphael Zehnder.

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