Das Wichtigste in Kürze
- Befürworter des Gesetzes sagen: Es reduziert die Kriminalität .
- Eine neue Studie der Universität Oxford zeigt: Das Gegenteil ist der Fall.
- Seit Einführung des Gesetzes stieg die Mordrate durch Schusswaffen um 34 Prozent .
- Auch eine amerikanische Studie kommt zum Schluss: strengere Waffenvorschriften würden den Blutzoll verringern .
Der Fall Trayvon Martin
Der tragische Fall ist noch in Erinnerung: 2012 erschoss George Zimmerman den unbewaffneten schwarzen Teenager Trayvon Martin . Der Wachmann wurde wegen Mord zweiten Grades angeklagt.
Er konnte den Geschworenen jedoch glaubhaft machen, dass er sich vom 17-Jährigen in seinem Kapuzenshirt bedroht gefühlt hatte. Auf der Basis des Stand-Your-Ground-Gesetzes wurde der Wachmann freigesprochen.
Erst schiessen, dann fragen
Befürworter des Stand-Your-Ground-Gesetzes behaupten, es wirke abschreckend und reduziere die Kriminalität. Kritiker argumentieren, das Gesetz fördere eine gefährliche «Shoot-First-Ask-Questions-Later-Mentalität».
Die Kritiker könnten Recht haben. Eine Studie der Oxford University zeigt nun: Seit Inkrafttreten des Gesetzes 2005 stieg die Mordrate durch Schusswaffen um 34 Prozent. Anders formuliert: Bis 2004 starben durchschnittlich 49 Menschen pro Monat. Seither sind es etwa 69 Menschen.
«Das ist ein eklatanter Anstieg», meint David Humphreys, Soziologe und Hauptautor der Studie. «Der Anstieg sticht hervor, weil die Mordrate in den Jahren vor 2005 langsam gesunken ist. Auch an der Zahl der Selbstmorde hat sich nichts geändert.» Die höhere Mordrate könne also mit dem Stand-Your-Ground-Gesetz zusammenhängen.
Mein Heim ist mein Schloss
Die britische Studie gibt zu denken. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte der US-Bundesstaaten dem Beispiel Floridas gefolgt und haben eine eigene Form von Stand-Your-Ground-Gesetzen erlassen. Im Kern stellen sie eine wesentliche Erweiterung der traditionellen Notwehrgesetze dar.
Den früheren Gesetzen nach ist man verpflichtet, bei einem Angriff zunächst zurückzuweichen oder zu flüchten. «Dazu gab es aber immer eine grosse Ausnahme», erklärt Humphreys.
«Wurde man daheim überfallen, durfte man sich sofort mit tödlicher Gewalt verteidigen.» Diese Ausnahme nennt sich die «Castle-Doktrin» – frei nach «My Home Is My Castle».
Stand-Your-Ground-Gesetze erweitern die Gültigkeit der Castle-Doktrin auf den öffentlichen Raum. Man darf nun überall tödliche Gewalt anwenden. Auf der Strasse, im Supermarkt, auf dem Sportplatz.
Dabei muss – zumindest in Florida – nicht einmal der Umstand von unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben bestehen. Fühlt man sich bedroht, darf man schiessen.
Restriktionen zum Waffengebrauch
Julian Santaella-Tenorio ist vom Ergebnis der britischen Kollegen nicht überrascht. Der Experte für öffentliche Gesundheit an der Columbia University in New York analysierte kürzlich 5000 Studien aus aller Welt, die sich mit Einschränkungen beim Waffenerwerb und -gebrauch befassen und deren Auswirklung auf die Todesraten untersuchen.
Sein Fazit: Strengere Vorschriften verringern den Blutzoll. Ein Stand-Your-Ground-Gesetz stellt hingegen eine Liberalisierung dar.
«Solche Gesetze reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wegen exzessiver Gewaltanwendung eingesperrt wird. Wenn er beobachtet, wie ein Dieb sein Auto stiehlt, kann er dies als persönliche Bedrohung interpretieren und schiessen.» Situationen können also schneller eskalieren und tödlich enden.
Keine Aussicht auf Verbesserung
Ist die Entwicklung in Florida eine Ausnahme? Dieser Frage nehmen sich David Humphreys und seine Kollegen an. Sie analysieren die Daten anderer Bundesstaaten mit vergleichbaren Gesetzen. Es ist verwunderlich, dass britische Forscher und nicht amerikanische die US-Waffengesetze so genau studieren.
Das hat aber einen Grund: Die US-Waffenlobby setzte 1996 durch, dass Forschung über Schusswaffengewalt nicht mit staatlichen Mitteln finanziert werden darf.
Unter dem künftigen, der Waffenlobby wohlgesonnenen Präsidenten Donald Trump wird sich die Situation wohl kaum zum Besseren wenden.
(Sendungsghinweis: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 25.11.2016, 06:50 Uhr)