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Expertin über Fehlertoleranz Fall Ameti: Fehler von Frauen werden anders beurteilt

Die Reaktionen auf die Publikation ihrer Schiessaktion auf ein Bild mit christlichem Motiv trafen die Politikerin Sanija Ameti mit selten grosser Wucht. Sie verlor ihre Stelle, trat aus der Leitung der Zürcher GLP zurück und wurde angezeigt. Seit dem Wochenende steht sie im Zentrum eines riesigen Shitstorms und wegen Bedrohungen unter Polizeischutz. In den Medien ist von einer «öffentlichen Zerstörung ihres Lebens» die Rede.

Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Beurteilung von Fehlern? Der Shitstorm um Sanija Ameti hat die Wirtschafts­wissen­schaftlerin Dina Pomeranz veranlasst, eine US-Vergleichsstudie auf der Plattform X zu posten. Diese zeigt: In einer gleichen Situation werden Frauen sowie unterrepräsentierte Gruppen harscher für einen Fehler beurteilt als Männer.

Dina Pomeranz

Wirtschaftsprofessorin, Universität Zürich

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Dina Pomeranz ist Professorin für Mikroökonomie am Department of Economics an der Universität Zürich. Ihre Forschungsgebiete sind Entwicklungsökonomie, öffentliche Finanzen und Wirkungsanalysen.

SRF: Die Harvard-Studie untersucht die Arbeit von Chirurginnen und Chirurgen – und kommt zum Schluss, dass bei Fehlern die Frauen strenger beurteilt und bestraft werden als ihre männlichen Kollegen. Wie konnte man dies nachweisen?

Dina Pomeranz: Generell ist es schwierig zu beurteilen, ob in einem einzelnen Fall das Geschlecht eine Rolle spielt. Für die Studie hatte die Forscherin daher einen riesigen Datensatz mit ähnlichen Situationen zu Verfügung – einen Datensatz zu Überweisungen von Ärztinnen und Ärzten für chirurgische Eingriffe.

Die Erkenntnisse daraus: Wenn auf dem Operationstisch ein Patient unter einer Chirurgin verstirbt, gehen anschliessend die Überweisungen an diese Chirurgin massiv runter. Stirbt ein Patient jedoch unter einem männlichen Chirurgen, nehmen die Überweisungen an ihn nicht ab.

Wo liegen die Gründe für diese unterschiedlichen Massstäbe?

Erstaunlicherweise zeigt die Studie, dass diese unterschiedliche Beurteilung nicht einfach nur durch Männer erfolgt. Auch wenn Frauen eine Überweisung machen, reagieren sie stärker, wenn eine Chirurgin einen Fehler gemacht hat.

Frau, Führungsrolle, Migrationshintergrund und religiöse Minderheit: Wenn verschiedene Identitäten zusammenkommen, kumulieren sich solche Effekte.

Es scheint, dass wir mit unserer Sozialisierung diese inneren Bilder mitgekriegt haben – dass Frauen sich nicht so für die Chirurgie eignen würden. Sobald dann ein Fehler passiert, denken wir deshalb automatisch: Vielleicht kann sie es doch nicht so gut. Wenn hingegen einem Chirurgen der gleiche Fehler unterläuft, denken wir eher: Gut, das kann allen mal passieren.

Die Reaktionen auf Sanija Ametis Fehltritt sind sehr heftig. Verschärft der Migrationshintergrund den Ruf nach einer strengeren Bestrafung?

Wenn verschiedene Identitäten zusammenkommen, die in einer Rolle üblicherweise nicht sehr verbreitet sind, kann sich der Effekt einer ungleichen Beurteilung noch verstärken. Konkret: eine Frau in einer Führungsrolle, die einen Migrationshintergrund hat und einer religiösen Minderheit angehört. Dann kumulieren sich solche Effekte.

Sobald ein Fehler passiert, wird man fallengelassen. Der religiöse Hintergrund von Frau Ameti könnte da eine Rolle spielen.

Dies erinnert mich an das Buch «Schweizer auf Bewährung» von Sigi Feigel. Der ehemalige Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) sagt darin: Solange alles gut läuft, ist er als jüdischer Schweizer Teil der Gesellschaft und akzeptiert – aber immer auf Bewährung. Sobald ein Fehler passiert, wird man fallengelassen. Der religiöse Hintergrund von Frau Ameti könnte da eine ähnliche Rolle spielen.

Das Gespräch führte Raphael Zehnder.

SRF 1, 10vor10, 09.09.2024, 21:50 Uhr. ; 

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