Als sich Margot Kässmann, damals Bischöfin der Landeskirche Hannover, nach 26-jähriger Ehe scheiden liess, war das ein Skandal – für ihre Umgebung und für sie selbst. «Ich hatte das Gefühl, ich sei gescheitert. Alle sagten: Wie kann das einer Bischöfin passieren?»
Heute hat sich Kässmann mit dieser Begebenheit versöhnt. Ihre Scheidung sieht sie nicht mehr als Versagen. Vielmehr sei es eine Entscheidung für die eigene Glaubwürdigkeit gewesen – auch in Rücksprache mit den vier Töchtern.
Nicht auf Kosten der Kinder
«Wir sind nicht in Hass und Streit auseinandergegangen. Ich finde, es ist wichtig, dass Eltern den Konflikt nicht auf dem Rücken der Kinder austragen.» Ihr ehemaliger Mann – auch ein Pfarrer – ist inzwischen neu verheiratet. Die sechs gemeinsamen Enkelkinder haben sie zusammen getauft.
Zum Heiraten gehört die Hoffnung, ein Leben miteinander zu verbringen.
«Bis dass der Tod uns scheidet» – ist das also nur noch eine Floskel? Für Kässmann keineswegs. Trotz ihrer eigenen Geschichte. Sie würde heute keine Paare trauen, die zu diesem Versprechen nicht bereit wären.
«Zum Heiraten gehört die Hoffnung und der Wunsch, ein Leben miteinander zu verbringen. Ich glaube, das ist ein sehr schöner Lebensentwurf.»
Erwartungen und Enttäuschungen
Trotz schönen Idealen und Plänen: Viele Ehen und Familien scheitern. Wo sieht die ehemalige Seelsorgerin die Herausforderungen?
«Paare leben heute sehr gleichberechtigt, bis das erste Kind kommt. Danach ist es oft so, dass die Rollen wieder in die traditionellen Formen übergehen – der Mann ist berufstätig, die Frau bleibt zuhause. Beim zweiten Kind verfestigen sich diese Rollen umso mehr. Das führt zu grossen Enttäuschungen.»
Man empfand es als unverschämt, dass ich Beruf und Familie wollte.
Kässmann kann diese Enttäuschungen gut nachempfinden. Sie erlebte selbst, wie man ihr als Mutter von drei Kindern nicht mal eine halbe Pfarrstelle zutraute.
Man hat es ihr nicht zugetraut
«Man empfand es als unverschämt, dass ich Beruf und Familie wollte.» Dabei hatte sie eine gute Ausbildung, gute Noten und Lust zu arbeiten. «Hinterher ärgerte ich mich sehr, dass ich dem stattgab.» Erst mit 34 bekam sie die erste volle Stelle, nach langem Kampf.
Später, wenn andere meinten, sie könne mit vier Kindern nicht Generalsekretärin des Kirchentages oder gar Bischöfin werden, antwortete Kässmann: «Warum denn nicht? Kein Mann wird gefragt, ob er mit vier Kindern ein Amt übernehmen kann. Kinder sind da nie ein Thema.»
Der Druck der Frauen
Frauen gerieten heute zudem zunehmend unter Druck, was die Familienplanung angehe: Es gelte eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren, berufstätig zu sein und Geld zu verdienen.
Gleichzeitig ticke die biologische Uhr. Und schliesslich gibt es noch diverse Ansprüche daran, wie eine Mutter zu sein habe. «Lasst doch die Mütter selbst entscheiden, was für sie eine gute Mutter ist», fordert Kässmann.
Mit 23 wurde sie erstmals Mutter, relativ unbefangen, wie sie rückblickend sagt. Nachträglich hat sie sich aber einige Gedanken dazu gemacht, etwa mit einem Buch über 20 Mütter aus der Bibel.
Das Buch, sagt Kässmann, sei aus Ärger über Kardinal Meisner entstanden. Er hatte Frauen, die berufstätig und Mütter sind, Gebärmaschinen genannt. «Ich habe versucht zu zeigen, dass es in der Bibel verschiedene Mutterbilder gibt und nicht bloss das eine.»
Immer weniger Haushalte mit Kindern
So oder so – vielleicht werden solche Diskussionen bald hinfällig. Gemäss einer neuen Schätzung der OECD werden im Jahr 2030 nur noch in 30 Prozent aller Schweizer Haushalte Kinder leben. Was empfindet die Theologin und Familienfrau bei solch düsteren Zahlen?
«Kinder sind anstrengend und eine Herausforderung. Aber sie geben dem Leben einen tiefen Sinn. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, sind meine Kinder und Enkelkinder das Entscheidende.»