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Familiengeheimnisse in WILDER «Das Geheimnis ist ein Ort, an dem ganz viel entsteht»

Begierde, Diebstahl und Mord: Im fiktiven Dorf Thallingen, in dem die zweite Staffel von «WILDER» spielt, gibt es viele Geheimnisse. Was machen solche Geheimnisse mit denen, die sie hüten? Und was passiert, wenn sie ans Licht kommen?

Der Psychoanalytiker Olaf Knellessen hat die neuen Folgen von «WILDER» gesehen und hilft, ihre Geheimnisse zu ergründen.

Olaf Knellessen

Olaf Knellessen

Psychologe

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Der Psychoanalytiker Dr. phil. Olaf Knellessen betreibt in Zürich eine eigene Praxis. Er ist Teilnehmer des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ). Er hat zahlreiche Publikationen zu Theorie und Praxis der Psychoanalyse und zu Kunst und Kultur veröffentlicht.

SRF: Warum haben wir Geheimnisse?

Olaf Knellessen: Ich glaube, weil in den Geheimnissen die wichtigen Dinge unseres Lebens drin sind. Die verborgenen und verbotenen Wünsche – das, was man gerne tun würde oder auch getan hat.

Geheimnisse intensivieren unser Leben: Sie sind erregend und spannend. Aber sie sind auch so intensiv, weil sie mit Angst verbunden sind. Sie können erschreckend sein oder eine Gefahr darstellen.

Geheimnisse haben immer zwei Seiten: eine anziehende und eine erschreckende. Und beide verstärken sich gegenseitig.

Geht etwas verloren, wenn ein Geheimnis gelüftet wird?

Ja, dann geht etwas von der Faszination verloren. Gleichzeitig kann man auch erleichtert sein, wenn etwas herauskommt. Es kann selbst dann erleichternd sein, wenn die Folgen unter Umständen übel sind.

In der Serie «WILDER» gibt es viele Geheimnisse: Rosa Wilder hält zum Beispiel im Geheimen, wer der Vater ihres Kindes ist. Warum tut sie das?

Dafür könnte es natürlich unzählige Gründe geben. Wenn wir uns das im Rahmen dieser Serie anschauen, könnte ein Grund sein, dass Rosa so eine ganz besondere Beziehung zum Vater aufrecht hält.

Sie hat eine exklusive Position in dieser Beziehung. Es ist vielleicht manchmal eine sehnsüchtige Beziehung, oder auch eine schuldige, aber auch eine intensive. Dadurch, dass die Beziehung ein Geheimnis ist, bleibt sie geschützt vor den Unwägbarkeiten und Enttäuschungen, die es in einer gelebten Beziehung geben kann.

Eine Auseinandersetzung passiert immer – auch wenn man nicht über etwas spricht.

In der Serie gibt es auch viele Familiengeheimnisse. Was kann ein Geheimnis mit einer Familie machen?

Man weiss, dass Geheimnisse eine stark bindende Wirkung haben. Ein Geheimnis ist wie der Januskopf, der bei den Römern über der Türschwelle hing und gleichzeitig nach innen und aussen schaute.

Auch mit dem Geheimnis schaut man nach innen, weil man es hütet und nicht preisgeben will. Gleichzeitig schaut man auch nach aussen und tut, als ob drinnen alles in Ordnung wäre.

Ein Mann schaut mit ernstem Blick. Im Vordergruind ist unscharf eine Frau zu erkennen
Legende: Szene aus «WILDER»: Das Geheimnis, das Rosa Wilders Vater lange hütete, ist draussen. Das belastet die Familie schwer. SRF / Pascal Mora

Verhindert ein Geheimnis auch, dass man sich konstruktiv mit einem Problem auseinandersetzt?

Nicht unbedingt. Eine Auseinandersetzung passiert immer – auch wenn man nicht über etwas spricht. Es passiert ja nicht alles diskursiv, sondern über weite Strecken auch, ohne dass man explizit darüber redet.

Kann ein Geheimnis auch positive Folgen haben?

Aus der Spannung, die das Geheimnis in sich trägt, kann auch etwas entstehen. Der Patron Charles Mulliger in «WILDER» zum Beispiel hütet ein Geheimnis. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum er sich für vertriebene Juden einsetzte: Die Spannung, die durch das Geheimnis entsteht, führt dazu, dass er sich für die Gemeinschaft einsetzt.

Wenn Sie die grossen Mythen unserer Kultur anschauen – Moses, Ödipus und Siegfried – sie alle tragen ein Geheimnis mit sich, das Geheimnis um ihre Herkunft. Daraus gründen sie etwas Grosses. Das Geheimnis ist also auch ein Ort, an dem ganz viel entsteht – letztlich auch ein wesentlicher Teil unserer Kultur.

Das Gespräch führte Andres Hutter.

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