Männer dominieren die öffentliche Debatte als Corona-Experten. Wo sind die Expertinnen? Die Geschlechterforscherin Tina Büchler sieht den Hauptgrund darin, dass Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen untervertreten sind.
SRF: Gibt es Zahlen, die belegen, dass beim Thema Corona weniger Expertinnen zu Wort kommen?
Tina Büchler: Marcel Salathé , Christian Althaus , Marcel Tanner und Manuel Battegay – das sind die Köpfe dieser Pandemie in den Medien. Eine der wenigen Frauen, von der ich ab und zu in der Zeitung gelesen habe, ist Biostatistikerin Tanja Stadler .
Wie ist die Covid-Expertengruppe zusammengesetzt, die der Bundesrat ins Leben gerufen hat?
Es gibt zehn Gremien zu verschiedenen Disziplinen mit insgesamt 51 Experten und Expertinnen. Davon sind etwa 25 Prozent Frauen. Drei Frauen leiten ein Gremium.
Beim Thema Corona sind vor allem Epidemiologen, Virologen und Statistiker gefragt. Gibt es in diesen Disziplinen vielleicht einfach weniger Frauen?
Das hat schon was. Ein Blick auf die Websites entsprechender Institute lässt darauf schliessen, dass der Frauenanteil in diesen Fachgebieten bei etwa 30 Prozent liegen könnte. Je höher es geht auf der Hierarchieleiter, umso weniger Frauen hat es: Professorinnen gibt es schon viel weniger, ganz selten sind Institutsdirektorinnen.
Trotzdem sehe ich auch die Medien in der Verantwortung: Es gibt auch Frauen in diesen Fachgebieten – und die sollten öfter zu Wort kommen.
Die Message, dass in der Krise der Mann ran muss, ist problematisch.
Als Medienschaffende machen wir oft die Erfahrung, dass Frauen häufiger absagen als Männer. Auch wenn sie die gleiche Expertise haben, sind sie oft viel zurückhaltender. Welche Rolle spielt es, dass Frauen ihre Fachkenntnisse weniger offensiv «verkaufen»?
Das mag ein Faktor sein. Den Hauptgrund für die wenigen Expertinnen in der Corona-Krise sehe ich aber in der Struktur des Wissenschaftsbetriebs: In leitenden Funktionen gibt es zu wenig Frauen. Karrierebewusste Wissenschafterinnen werden zu wenig gefördert und dadurch gibt es für Nachwuchswissenschafterinnen auch zu wenige Vorbilder.
Das Fehlen der Corona-Expertinnen ist ein herber Rückschlag für Gleichstellungsbemühungen der letzten Jahre.
Was sagt die Geschlechterforschung zur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit: Gelten männliche Experten als glaubwürdiger?
In Krisen gibt es vermehrt den Wunsch nach starker Führung und klarer Kommunikation. Eigenschaften wie Vernunft und Rationalität sind gefragt, ebenso nüchterne naturwissenschaftliche Expertise. Diese Eigenschaften sind hierzulande noch ganz klar männlich konnotiert.
Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn Männer uns in dieser Krise die Situation erklären?
Ich finde es hochproblematisch, wenn die Message vermittelt wird: Sobald es um die Wurst geht, müsssen Männer ran.
Das sind Bilder, die sich in den Köpfen festsetzen und lange nachwirken. Es ist ein herber Rückschlag für Gleichstellungsbemühungen der letzten Jahre.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.