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Einmal knausrig, immer knausrig? Unsere Beziehung zum Geld
Aus Input vom 29.03.2023. Bild: Keystone
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Finanzen und Psychologie In Geldfragen sind oft falsche Gefühle im Spiel

Unsere Haltung zum Geld prägt unser Leben. Woher kommt sie – und wie kann man sie ändern? Tipps einer Psychologin.

Neid, Angst, Sehnsucht oder Frust: Wenn es um das Thema Geld geht, spielen häufig Emotionen mit. «Rational sind wir eigentlich nie», meint Wirtschaftspsychologin Anne Herrmann. «Weder in der Art und Weise, wie wir Geld ausgeben, noch in der Einschätzung unserer finanziellen Lage.»

Anne Herrmann

Wirtschaftspsychologin

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Anne Herrmann ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz, wo sie das Institut für Marktangebote und Konsumentscheidungen leitet.

Ihre Expertise setzt sie in Forschungsprojekten ein, wo sie für Unternehmen die Ansprüche und Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden untersucht und daraus Handlungsempfehlungen zu ihren Angeboten ableitet.

Das zeigt das Beispiel der 28-jährigen Nathalie. «Ich weiss, ich habe genügend auf der Seite», sagt sie. Und doch plage sie die Angst, das Geld könnte plötzlich weg sein. Denn man wisse ja nie, was kommt. «Deshalb schaue ich immer als Erstes auf den Preis.»

Es beginnt in der Kindheit

Unsere Beziehung zum Geld ist in unterschiedlichsten Glaubensätzen verankert, die wir durch Erlebnisse geformt oder in der Kindheit mitbekommen haben. Sie beeinflussen unser Wohlbefinden und unsere Entscheidungen, etwa im Job oder in der Partnerwahl.

Im Erwachsenenalter haben wir die Chance, unsere Geld-Glaubenssätze aus der Kindheit zu hinterfragen.
Autor: Anne Herrmann Wirtschaftspsychologin

«Ein rationalerer Blick kann helfen, hinderliche Glaubenssätze abzuschütteln», sagt Anne Hermann. Dazu dient die Frage: Wie stehe ich überhaupt zu Geld?

Vier Typen

Hilfreich dafür ist der amerikanische Finanzpsychologe Brad Klontz, der unseren Umgang mit Geld in vier Kategorien einteilt. Er spricht von «Money Scripts», von Geld-Drehbüchern also, nach denen wir meist unbewusst handeln:

  • Statussuchende versuchen durch Geld ihren Status zu symbolisieren, etwa durch teure Autos oder Designerkleider. Sie kommunizieren so: «Ich hab’s geschafft.» Problematisch: Sie können dazu neigen, zu viel auszugeben.
  • Anbeterinnen verehren Geld und glauben, dass es das Leben besser macht. Wer jedoch das Lebensglück an einen gewissen Geldbetrag hängt, läuft auf einem schmalen Grat. «Das Streben nach Geld kann unglücklich machen», so Hermann.
  • Wachsame – oder Aufmerksame – befassen sich sehr genau mit ihren Finanzen. Sie haben sie «im Griff», wissen jederzeit, wie viel sie auf dem Konto oder in der Pensionskasse haben. Die Gefahr: Oft entwickeln sie grössere Schwierigkeiten, Geld auszugeben.
  • Vermeider schauen lieber weg, meiden Gedanken ans Geld. Der Grund: Negative Assoziation mit Geld oder fehlender Glaube an die eigene Finanzkompetenz. Das kann dazu führen, dass sie ungünstige Entscheidungen treffen und Vorteile (z. B. 3. Säule) versäumen.

Man sei nicht ausschliesslich der eine oder andere Typ, erklärt Herrmann. Es sei vielmehr spannend, zu sehen, in welcher Kategorie die eigenen Tendenzen am ausgeprägtesten sind.

Aus Sparsamkeit gehungert

Zurück zu Nathalie: Sie gehört definitiv zu den «Wachsamen». Der Glaubenssatz: «Es könnte knapp werden» begleitet sie schon lange. Sie weiss, wie man spart und ist stolz darauf. Mit den rund 3500 Franken, die sie monatlich als Hauswirtschafterin verdient, sei das auch besser so.

Doch das Sparen ging bei Nathalie auch schon zu weit. Wenn sie früher einen Tag lang unterwegs war, hat sie sich oft keinen Snack geleistet. «Das bedeutete manchmal, dass ich mehrere Stunden hungerte.» Da habe sie definitiv am falschen Ort gespart.

Ich hatte ständig das Gefühl, dass es Zuhause knapp war. Diese Sorge habe ich verinnerlicht.
Autor: Nathalie (28) Hauswirtschafterin

Heute sei das besser, ihr Umgang mit Geld lockerer. Doch die Kontrolle wolle sie behalten und verzichte deshalb auf eine Kreditkarte.

Der Grund für Nathalie Sparsamkeit ist in ihrer Kindheit zu finden. «Meine Mutter sagte oft, das Geld sei wieder zu knapp für die nächsten Rechnungen», sagt Nathalie. Kunden des Vaters hätten nicht rechtzeitig bezahlt. So hatte sie oft das Gefühl, dass jeder Rappen zählte. Diese Sorge habe sie bis heute verinnerlicht – auch wenn es ihr an nichts gefehlt habe.

Über Geld sprechen lohnt

«Im Erwachsenenalter haben wir die Chance, unsere Geld-Glaubenssätze zu hinterfragen», ermutigt Wirtschaftspsychologin Anne Herrmann. Denn sie können aus vielen Gründen nicht mehr gültig sein: Die Regeln von früher sind überholt, unsere finanzielle Lage besser als die unserer Eltern oder: «Vielleicht haben wir die Eltern damals auch einfach missverstanden und falsche Rückschlüsse aus ihrem Verhalten gezogen.»

Es hilft, mit den Kindern über Geld zu reden.
Autor: Anne Herrmann Wirtschaftspsychologin

Ein Gespräch mit den Eltern könnte sich jederzeit lohnen: Wie war die finanzielle Situation tatsächlich? Eltern wiederum, sagt Herrmann, sollten sich bewusst sein, dass Kinder ihr finanzielles Verhalten kopieren.

«Es hilft, mit den Kindern über Geld zu reden, sie altersgerecht in finanzielle Entscheidungen einbeziehen.» Zum Beispiel, indem man ihnen erklärt, warum man sich in einem Jahr grössere, im nächsten nur kleine Ferien leisten könne.

Wegschauen aus schlechtem Gewissen

Gabriela (60) ist eine typische «Vermeiderin», wenn es um Geldfragen geht. Sie arbeitet seit ein paar Jahren in der Finanzberatung für Betagte. Wenn es aber um ihr eigenes Geld geht, hatte sie schon immer ein komisches Gefühl. «Ich habe lieber weggeschaut», sagt sie.

Budget machen? Fehlanzeige. «Ich war sehr geprägt von meiner Mutter und Grossmutter, die ja von ihren Männern abhängig waren.» Erst kürzlich habe sie sich vorgenommen, endlich hinzuschauen – auf ihr Budget und die Emotionen rund ums Geld.

Ich hatte immer das Gefühl, wir hatten zu viel. Dafür habe ich mich geschämt.
Autor: Gabriela (60) Finanzberaterin

Aufgewachsen ist Gabriela in einem wohlhabenden Haus. Ihr Vater verdiente sein Geld in der Textilbranche, die Mutter war sozial engagiert. Der Kühlschrank war immer gut gefüllt und Freunde wurden finanziell unterstützt. Klingt perfekt? Jein. «Ich hatte immer das Gefühl, wir hatten zu viel. Mehr als die anderen. Dafür habe ich mich auch geschämt», sagt Gabriela.

Mehr gearbeitet als nötig

Ihr zwiespältiges Gefühl gegenüber Geld habe sie auch eingeschränkt. Gerne hätte sie selbständig gearbeitet, wagte es aber nicht. Als alleinerziehende Mutter habe sie zu viel gearbeitet: Hätte sie genauer auf ihr Budget geschaut, wäre das vielleicht nicht nötig gewesen.

«Jetzt will ich das ändern und mit meinen Schwestern und Freundinnen vermehrt über Geld, Scham und Ängste sprechen», sagt Gabriela.

Die Verlustangst überwinden

Eine der grössten Ängste in Bezug auf Geld sei die Angst vor dem Verlust, sagt Anne Herrmann. Dass das Geld jederzeit weg sein könnte, fürchtet nicht nur Nathalie. «Man sollte sich fragen, wie viel Angst man vor dem Verlust an sich hat – und wie viel vor dem Leben nach dem Verlust.»

An dem Punkt, wo ich den Zweck in den Vordergrund rücke, geht es mir häufig schon besser.
Autor: Anne Herrmann Wirtschaftspsychologin

Helfen könne auch die ehrliche Frage: Wie viel Geld brauche ich tatsächlich? Konkret: «Wie viel von meiner Lebensqualität wird wirklich davon beeinflusst, wie viel Geld ich habe? Und wie gut wäre mein Leben mit einem gewissen Minimalbetrag?» So bekomme man eine rationalere Perspektive darauf, wovor man Angst haben müsse, so Herrmann.

Tipp der Expertin: Finanztagebuch

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Jeder Ratgeber empfiehlt, ein Ausgabetagebuch zu führen. Als Psychologin empfiehlt Anne Herrmann neben jeder Ausgabe zu notieren, welche Emotionen man dabei empfunden hat: Hat man sich gefreut? Hatte man ein schlechtes Gewissen? War gar kein Gefühl dabei? Nach ein paar Wochen lerne man so, seine Beziehung zum Geld besser zu eruieren.

Viele Menschen haben zudem negative Emotionen, wenn es ums Geldausgeben gehe – wenn etwa eine grössere Investition in ein Auto oder ein Haus ansteht. «Je mehr man beim Geldausgeben ans Geldausgeben denkt, desto weniger sieht man, was man dafür bekommt», sagt Hermann. Sie empfiehlt stattdessen, den Zweck in den Vordergrund zu rücken. «Denn letztlich ist Geld nur ein Mittel zum Zweck.»

Was sagt die Glücksforschung?

Viele haben gelernt, dass Geldausgeben besser gerechtfertigt wird, wenn danach ein materieller Wert in der Wohnung steht, sagt Anne Herrmann. Die Glücksforschung spreche klar dagegen: Wer in positive Erlebnisse investiert – also Reisen oder Konzerte – zahle nachhaltiger auf sein Glückskonto ein.

Die Forschung zeige deutlich: «Wenn wir genügend Geld haben, haben wir gute Voraussetzungen für ein glückliches Leben. Geld an sich macht aber nicht glücklich.»

Davon ist auch Nathalie überzeugt. Erst letztes Jahr habe sie das Reisen entdeckt und beschlossen, ihr Geld von nun an dafür auszugeben und weniger daran zu denken. «Eine Sommernacht mit Freunden und Familie braucht ja kein Geld, und das sind die schönsten Momente.»

Radio SRF 3, Input, 2.4.2023, 20:05 Uhr

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