Es ist das Lebenswerk eines Sammelwütigen: Naturwunder aller Art, auf 13'000 Seiten in 24 Bänden. Johann Jakob Wick, ein reformierter Pfarrer, hat die Nachrichten der Reformationszeit gehortet. Heute nennt man diesen Schatz die «Wickiana» – es sind Flugblätter, die schnellen Medien der damaligen Zeit.
Kurz nach der Erfindung des Buchdrucks verbreiteten sie Neuigkeiten in ganz Europa. Es waren die ersten Bilder von Eskimos oder Berichte über schreckliche Missbildungen bei Föten.
Besonders viel Aufmerksamkeit jedoch erhielten Nachrichten über Naturkatastrophen, Unwetter und Himmelserscheinungen.
Zeugnisse eines Klimawandels
Damals erwarteten die Menschen das Weltende. Die «Wunderzeichen», wie man die Sujets der Flugblätter nannte, wurden damals als Strafen Gottes interpretiert. Franz Mauelshagen ist Klimahistoriker und hat über den Bilderschatz «Wickiana» promoviert.
Für ihn führen diese Flugblätter in eine historische Situation, in der schon einmal ein Klimawandel seine Spuren hinterlassen hat. Denn die «kleine Eiszeit» führte damals zu extremen Wintern und extremen Niederschlägen mit Hungerkrisen. Doch das Wissen reichte damals nicht aus, um den Klimawandel zu erkennen.
Frühe Sensationspresse
Sucht man nach Parallelen zur Gegenwart, könnte man die Flugblätter mit Websites vergleichen, die sich auf Sensationsnachrichten spezialisiert haben. Doch allzu sehr in die Boulevard-Ecke dürfe man die Einblattdrucke nicht schieben, meint Mauelshagen.
Es sind hochwertige Drucke darunter, die auch versuchen, «gelehrte Inhalte» in anderer Form zu transportieren. Das Netzwerk hinter diesen Nachrichten bestand aus Gelehrten. Verfasser der Texte waren häufig Pfarrer, die moralische Botschaften transportieren wollten.
Fake News im 16. Jahrhundert
Kometen deuteten die Gelehrten als Warnungen an die Menschheit. Nordlichter galten als Vorzeichen von Unheil. Die «Wickiana» schwelgen auch in Blut, das vom Himmel regnet. Da verfärben sich Flüsse in den grellsten Farben und Teufel thronen über der Unwetterkatastrophe in Flandern im August 1586.
Oft stecken natürliche Phänomene hinter den Wunderzeichen-Geschichten. Es ist aber auch Skepsis angebracht. «Fake News gab es schon im 16. Jahrhundert», meint der Klimahistoriker.
Katastrophismus statt Apokalypse
Die Menschen vor 500 Jahren kannten den Begriff Klimawandel nicht. Heute wissen wir durch die meteorologische Forschung viel mehr. Die Evidenz eines menschengemachten Klimawandels ist wissenschaftlich kaum bestritten.
Dennoch folgen radikale christliche Gruppierungen in den USA noch immer dem Gottesstrafen-Schema – angesichts dreier verheerender Hurricans allein in diesem Jahr.
Statt Apokalyptik sei heute ein begründeter «Katastrophismus» gefragt, meint Mauelshagen. Man müsse die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Folgen des Klimawandels global katastrophal sein können. «Unsere Handlungsaufgabe ist, zu fragen: Welche Möglichkeit wählen wir? Wie verhindern wir das Katastrophenszenario? Und Antworten zu finden».
Sendung: SRF 1 Kultur, Kulturplatz, 2.11.2017, 22.25 Uhr