Als in Paris die Barrikaden brannten, war Robert Lebeck nicht vor Ort. «Das Jahr der Studentenunruhen fand ohne mich statt», resümierte der deutsche Fotograf in seiner Autobiografie «Erinnerungen eines Fotoreporters».
Entgegen der eigenen Einschätzung schaffte er es trotzdem, die brisante Stimmung und das Lebensgefühl des Jahres 1968 in seiner Fotografie zu zeigen.
Immer woanders, aber immer mittendrin
Der Berliner holte sich zuerst einmal einen Kaffee, wenn andere Kollegen bereits hektisch knipsten. Danach ging er gerne ein Runde spazieren – und machte schlussendlich das entscheidende Foto, das später um die Welt ging.
Ich war immer hinter dem Leben her, nicht hinter dem Tod.
Im Gegensatz zu Ideologien und Parteien, waren Lebeck Menschen wichtig. Er zeigt in seinen 1968-Bildern weniger die – später auch verklärte – Aufbruchstimmung Er dokumentiert ein Jahr, in dem Gewalt die Menschen dominierte. In dem diese Gewalt viele Hoffnungen begrub.
Eine Nation in Trauer
In seinen Bildern ist die Präsenz von Waffen allgegenwärtig. Selbst wenn diese nicht unmittelbar zu sehen sind, so wie bei der Beerdigung des ermordeten Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy, wo die beiden Kennedy-Witwen trauern.
Mein Bruder muss nicht idealisiert werden oder im Tode grösser gemacht werden, als er im Leben war; er sollte einfach erinnert werden als guter und ehrenhafter Mann.
1968 auch das Jahr einer massiven Mediatisierung: Die Robert-Kennedy-Beerdigung wurde zu einem Medienereignis hochstilisiert. Allein Lebecks Arbeitgeber, die Zeitschrift Stern, entwickelte dafür 3184 Negative, empfing 258 Funkbilder, führte 47 Telefongespräche zwischen Hamburg und Amerika, wechselte 72 Fernschreiben und legte 38.800 Flugkilometer zurück.
Fakes in den News – schon damals
Lebeck verstand sich als Dokumentarist, er wollte Realitäten möglichst genau abbilden. Diese Haltung durchkreuzten die Stern-Reaktoren oft fahrlässig, indem sie wie bei der Fotoreportage über Papst Paul VI. in Kolumbien aus zwei Fotos eines machten. Details vergrösserten und aus dem Kontext rissen, um die Bildaussage ihrer Story über die Begeisterung der Pilger zuzuspitzen.
Lebecks Originalaufnahmen dokumentieren neben dieser Begeisterung aber auch die umfangreichen Sicherheitsmassnahmen, die den Papstbesuch begleiteten. Die Präsenz der Militärpolizei ist allgegenwärtig.
Unveröffentlichter Sonntagsstaat
Auch die 4. Documenta in Kassel blieb von Protest nicht unberührt. Die Eröffnungsrede wurde durch lautstarke Sprechchöre, das Verteilen von Flugzetteln und das Schwenken roter Fahnen gestört.
Alles in allem aber zu wenig Tohuwabohu für die Presse. Keine Zeitschrift oder Zeitung publizierte damals Lebecks Bilder aus Kassel. Auch nicht eines seiner Lieblingsbilder, die «Familie Beuys im Sonntagsstaat».
Ohne Gewalt keine Geschichte
Ende 1968 standen die Zeichen in Nordirland auf Eskalation, so dass die Stern-Redaktion Lebeck nach Belfast schickte. Er sollte das, was sich da anzukündigen schien, fotografisch dokumentieren. Doch die Explosion der Gewalt sollte zunächst noch ausbleiben. Somit blieben Lebecks früheste Farbserien ungedruckt. Auch hier; ohne Gewalt keine Geschichte.