In Grossbritannien arbeitete Theresa May an der schier ausweglosen Brexit-Frage, in Österreich wird nach dem FPÖ-Skandal Brigitte Bierlein die Regierungschefin.
Warum erhalten Frauen vor allem in politischen Krisensituationen die Chance, an die Macht zu gelangen? Esther de Boer leitet die Headhunter Agentur «GetDiversity» und will mehr Vielfalt in Verwaltungsräte bringen. Sie weiss, was die Forschung über Frauen und Fähigkeiten verrät.
SRF: Frauen kommen immer dann in die Chefetagen, wenn es einen Scherbenhaufen aufzuräumen gibt. Ist etwas dran an dieser These?
Esther de Boer: Ja, das möchte man meinen. Vor allem heute, wo viele Frauen in die Chefetagen berufen wurden. Es ist aber keine Genderfrage. In einer Krise wird einfach eine andere Art von Menschen in Chefetagen berufen.
Das sind Menschen mit besseren sozialen Skills, weil es die braucht, um eine Krise meistern zu können.
Menschen mit besseren sozialen Fähigkeiten also. Sind das tendenziell eher Frauen?
Die Forschung zeigt, dass Frauen systematisch höhere soziale Fähigkeiten mitbringen und sich daher für solche schwierigen Situationen durchschnittlich besser eignen.
Konkrete Beispiele: Theresa May wurde in einer schwierigen Zeit Premierministerin von Grossbritannien, in Österreich übernahm Brigitte Bierlein für Sebastian Kurz den Posten der Bundeskanzlerin. Beides Frauen, die in der Krise gekommen sind.
Theresa May hatte eine unglaublich schwierige Ausgangslage vorgefunden. Ihr Vorgänger David Cameron hatte in Selbstüberschätzung dieses Referendum lanciert in der Meinung, dass es nicht so rauskommt, wie es herausgekommen ist.
In solchen Situationen treten machtbewusste Menschen, die gerne erfolgreich sind, nicht mehr an, weil es zu viel zu verlieren gibt – auch das wieder keine Genderfrage.
Und dann müssen andere einspringen.
Ja. Und das sind momentan mit hoher Wahrscheinlichkeit Frauen. Gerade im Moment ist es gesellschaftlich opportun, eine Frau ranzulassen, in der Meinung, sie solle das regeln.
Wie sollen Frauen mit solchen Mechanismen umgehen?
Die Herausforderung annehmen – wenn man sie sich zutraut. Die Forschung zeigt: Frauen neigen dazu, eine Aufgabe dann anzunehmen, wenn sie überzeugt sind, sie auch zu 100 Prozent erfüllen zu können.
Männer dagegen sind mit 70 oder 80 Prozent Erfolgsaussicht schon zufrieden und sagen: Ja, das kann ich.
Von daher: Wenn eine Frau sich etwas zutraut, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie es kann, statistisch betrachtet grösser. Darum: Go for it!
Wie sollen wir als Gesellschaft, wie sollen Medien damit umgehen?
Als Minderheit werden Frauen in Top-Führungspositionen besonders unter die Lupe genommen: Sie werden systematisch kritischer beobachtet als Männer in vergleichbaren Positionen. Das müssen wir unterlassen, sofern wir das kontrollieren können.
Gibt es konkrete Beispiele, wo Frauen in Krisensituationen effektiv die Probleme besser lösten?
Man sagt ja, wären die Lehman Brothers Lehman Sisters gewesen, hätte es die Finanzkrise nicht gegeben...
Ein konkretes Beispiel wäre Island: Das Land war 2008 schwer von der Finanzkrise getroffen. Dort gab es zwei Bankerinnen, die noch vor der Krise eine Bank gegründet hatten – mit femininen Werten, wie man mit Geld umgehen soll.
Es ist das einzige Finanzinstitut, das in Island überlebt hat.
Das Gespräch führte Igor Basic.