Zum Inhalt springen
Eine Feder hängt an einem Stacheldraht
Legende: Der US-Historiker Timothy Snyder warnt vor einer Welle des Autoritarismus, die unsere liberalen Demokratien bedroht. imago / Rolf Kremming

Freiheit in Gefahr Der Faschismus ist zurück – aber anders

Der amerikanische Historiker Timothy Snyder warnt: Die liberale Demokratie könnte durchaus einmal zu Ende sein.

Der US-Historiker Timothy Snyder begnügt sich nicht damit, im stillen Kämmerlein zu forschen. Er mischt sich in die öffentliche Debatte ein.

In den letzten Jahren – und vor allem seit der Wahl von Donald Trump – ist der Professor für osteuropäische Geschichte an der Yale University in den USA zum öffentlichen Mahner geworden: Er warnt vor autoritären Systemen, die unsere liberalen Demokratien bedrohen.

Wir befänden uns auf dem «Weg in die Unfreiheit», so seine Überzeugung – und so auch der Titel seines neusten Buches. Snyder weiss, wovon er spricht. Der Experte für totalitäre Systeme hat den Faschismus und den Kommunismus gründlich erforscht.

Snyder sagt, Geschichte sei ein fortlaufender Prozess mit offenem Ausgang. Die liberale Demokratie könne durchaus einmal zu Ende sein: «Wir sind umgeben von Ideen. Wir mögen in Bern oder in Helsinki den Eindruck haben, dass die ideologischen Kriege vorüber sind. Das sind sie nicht.»

«Politik der Ewigkeit»

In den letzten zehn Jahren hätten insbesondere rechte Ideen einen Aufschwung erlebt. «Politiker haben begonnen, weniger über die Zukunft und über konkrete Politik zu sprechen. Sie sprechen lieber über die Vergangenheit, über ewige Kreisläufe und darüber, ewiges Opfer zu sein.»

Snyder spricht auf einem Podium
Legende: Unterwegs als Mahner: Historiker Timothy Snyder mischt sich gerne in die öffentliche Dabatte ein. Heinrich-Böll-Stiftung/Stephan Roehl

Snyder nennt dies die «Politik der Ewigkeit»: «Es ist eine Politik, die den Menschen einredet, dass eine Zukunftsplanung unwichtig ist, sondern dass es darum geht, wer recht und wer unrecht hat. Und dass sich alles auf einen Konflikt zwischen zwei Seiten reduzieren lässt: auf einen Konflikt zwischen ‹uns› und ‹den Anderen›.»

Gemäss seiner Analyse ist Russland als erstes Land auf die «Politik der Ewigkeit» umgeschwenkt. Russland sei zu einem Vorbild für andere geworden und versuche, dieses Politikmodell zu verbreiten.

Herrschaft der Reichen

Zu denken, wir erlebten zurzeit eine Neuauflage der 1930er-Jahre, hält Snyder aber für falsch. Faschistische Ideen seien zwar zurück, aber die Logik sei eine andere: Leuten wie Wladimir Putin gehe es vor allem darum, der Bevölkerung eine Erklärung dafür zu liefern, warum alles so bleiben soll, wie es ist.

Faschistisches Gedankengut soll helfen, eine Herrschaft der Reichen zu legitimieren: «Sie wollen uns einreden, dass es normal ist, dass einige wenige Menschen alles Geld besitzen. Dass es normal ist, dass es keinen sozialen Fortschritt gibt. Denn Politik dreht sich laut diesen Ideen um Tugenden, um Sexualität – und nicht um konkrete Massnahmen.»

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Timothy Snyder: «Der Weg in die Unfreiheit: Russland, Europa, Amerika». C.H.Beck, 2018.

Faschistische Ideen sind zurück

Faschistische Ideen seien zurück in dem Gerede von «wir gegen sie» – mit dem Zweck, einen Feind zu definieren. Faschistische Ideen kämen auch in der Vorstellung zurück, dass es eine enge Verbundenheit eines Führers mit seinem Volk gebe. Und faschistische Ideen seien zurück als fundamentales Infragestellen der Aufklärung, der Wahrheit und der Existenz von Tatsachen überhaupt.

Aber all dies habe nicht etwa den Zweck, die Menschen auf die Strassen zu treiben oder in einen Krieg zu führen: «Es dient dem Zweck, uns auf dem Sofa zu halten und uns das Gefühl zu vermitteln, wir seien auf der richtigen Seite.» Damit die herrschenden Reichen ungestört ihre Macht ausbauen und den Rechtsstaat weiter beschädigen können.

Was ist Freiheit? Drei Fragen an Lisa Herzog

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Astrid Eckert

Lisa Herzog ist Professorin für Politische Philosophie an der Technischen Universität München.

SRF: «Freiheit gehört nicht nur den Reichen» heisst Ihr Buch zum Thema Freiheit. Sind auch in Demokratien wie der Schweiz und Deutschland die Reichen freier als die Nichtreichen?

Lisa Herzog: Wenn man sich ganz lebensweltlich anschaut, was es heisst, frei zu sein, eigene Entscheidungen zu treffen, sich umentscheiden zu können, dann hat’s doch ziemlich viele Vorteile, wenn man Geld hat.

Theoretisch sollte es so sein, dass bei politischen Rechten, vor Gericht, bei all diesen staatsbürgerlichen Angelegenheiten Gleichheit gilt. Ob das immer so ist, müsste man im Detail diskutieren.

Was ist überhaupt Freiheit? In Ihrem Buch beschreiben Sie Freiheit als die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Das ist eine Formel. Aber wir müssen die Vielschichtigkeit des Freiheitsbegriffs immer mitdenken. In der philosophischen Tradition hat sich eine Dreiteilung eingebürgert zwischen Freiheit im Sinne der Abwesenheit von Hindernissen. Dann Freiheit als Selbstbestimmung: eigene Ziele setzen und verfolgen können. Die dritte Dimension ist die politische Freiheit: Teil eines Gemeinwesens zu sein, in dem man sich gemeinsam die Spielregeln gibt, nach denen man leben will. Und wo nicht ein Fürst, ein kirchliches Oberhaupt oder sonstwer von oben herab diktiert, wie die Gesellschaft zu funktionieren hat.

Welche Voraussetzungen braucht es, damit der Mensch im Alltag diese drei Freiheiten leben kann?

Die sind teilweise sehr komplex, denn wir leben nicht als kleine Robinsons auf einsamen Inseln. Sehr vieles von dem, was wir tun und tun wollen, hat mit der Gemeinschaft mit anderen Menschen zu tun.

Diese Voraussetzungen beinhalten zum einen die Freiräume, die oft rechtlich geschaffen werden müssen. Zum Beispiel, dass mir niemand mein politisches Recht nehmen kann.

Man braucht aber auch die materiellen Voraussetzungen dafür, dass man diese Freiräume nutzen kann. Sonst hat man die Situation, die in dem Bonmot gefasst wird, dass sowohl Reiche als auch Arme frei sind, unter der Brücke zu schlafen.

Ein Dach über dem Kopf zu haben ist die Voraussetzung dafür, sehr viele andere Dinge im Leben tun zu können. Insofern plädiere ich dafür, dass man immer auch die materiellen Grundbedingungen von Freiheit miteinbezieht, wenn man über Freiheit nachdenkt. Der soziale Gedanke ist wichtig.

Das Gespräch führte Raphael Zehnder.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 26.9.2018, 9.00 Uhr

Meistgelesene Artikel