Vom Investmentbanker zum Influencer – dem Amerikaner Brent Underwood folgen auf TikTok , Instagram und YouTube Millionen von Abonnentinnen und Abonnenten. Denn seine Nische ist besonders: Der junge Mann hat mit einer Gruppe von Investoren für 1,4 Millionen Dollar eine ehemalige Bergbaustadt in Kalifornien gekauft, Cerro Gordo. Seit einem Jahr wohnt er nun dort: ohne Leitungswasser, ohne gewohnten Komfort und vor allem – ohne jegliche Mitmenschen.
Vor Corona geflüchtet – für das Abenteuer geblieben
Obwohl Underwood die Siedlung schon seit 2018 besitzt, ist er erst während des ersten Lockdowns eingezogen. «Hier gibt es keine Pandemie-Ängste», erklärt Underwood im YouTube Video zu seinem einjährigen Jubiläum in Cerro Gordo. «Ich muss mir keine Sorgen machen, dass eine infizierte Person die Türklinke berührt hatte.»
Hinter seiner «freiwilligen Abgeschiedenheit», wie er sagt, steht aber nicht nur Angst, sondern vor allem eine grosse Lust am Abenteuer. Davon bietet Cerro Gordo genug: Die erste Herausforderung ist es bereits, die 2500 Meter hoch gelegene Stadt zu erreichen. Obwohl sie in der kalifornischen Wüste liegt, wird Cerro Gordo im Winter völlig zugeschneit: «Man muss seine Einkäufe Wochen vorausplanen.»
Den wahren Adrenalin-Kick erlebt Underwood jedoch in den teilweise verschütteten Minen. Auf seinen viralen Videos auf TikTok und YouTube kriecht er in enge Tunnel, klettert morsche Leitern runter und seilt sich tiefer und tiefer in die verlassenen Schächte ab.
Ein Mord pro Woche
Sein Leben riskiert er nicht umsonst – gezielt sucht Underwood nach Artefakten aus der Zeit, als Cerro Gordo eine Stadt mit rund 4000 Bergbauarbeitern war. Seine Lieblingsfunde, etwa eine Jacke aus 1917, einen echten Revolver oder 500 Jahre alte chinesische Münzen, will er dereinst in einem Stadtmuseum ausstellen.
Es ist die reiche Geschichte der Bergbaustadt, die ihn fasziniert: «Cerro Gordo war einst der grösste Silberproduzent im ganzen Kalifornien. Sie ist der Grund, wieso Los Angeles die Stadt ist, die wir heute kennen», sagt Underwood in seinem Video «
A Murder a Week
» – ein Mord pro Woche.
Grund für den Videotitel: Cerro Gordo war zu ihrer Blütezeit der wahrhaftige Wilde Westen. 1873 beschrieb ein Ortsrichter die damalige Bevölkerung als «gesetzlose Gauner». Noch heute entdeckt Underwood Einschusslöcher in Holzwänden der ehemaligen Saloons und Bordellen.
Ein Blick auf Geisterstädte dieser Welt
Die dunklen Seiten der Stadtgeschichte
Was Underwood unter anderem beschäftigt, ist das Schicksal von chinesischen Bergbauarbeitern. Diese kamen in den 1860er-Jahren nach Cerro Gordo und mussten in einer «China Town» leben – getrennt von ihren weissen Mitarbeitern.
Wie wenig man die chinesischen Bergbauarbeitern schätzte, davon zeugen damalige Medienberichte, wie Underwood recherchiert hat: Wenn etwa ein Schacht zusammengebrochen war, in dem die Immigranten arbeiteten, berichtete die Zeitung über «15 bis 30» Tote. Niemand kümmerte sich darum, wie viele tatsächlich vermisst wurden.
«Damals war es ein anderes Amerika», kommentiert Underwood. Die dunklen Seiten der Stadtgeschichte sind ihm aber nicht nur bewusst – er will sie auch der Öffentlichkeit vermitteln und so rückwirkend den Opfern gedenken.
Cerro Gordo steht wieder auf
Nach dem Silberrausch verliessen um 1930 alle die Stadt. Aber die Mythen blieben. Noch heute locken sie ein neugieriges Publikum an.
Davon will Brent Underwood profitieren, denn er will nicht für immer allein bleiben: Aus Cerro Gordo soll eine ausgefallene Feriendestination werden. Allein oder mit ein paar Helfern renoviert er die Bauten im Dorf, um sein Ziel zu realisieren. Schon diesen Sommer soll man sein «Howdy» nicht nur über die sozialen Medien hören können.