SRF: Was beeindruckt Sie an Ihrem Bruder, an Ihrer Schwester?
Barbara Schmid-Federer: An meinem Bruder Urban – wir haben noch einen weiteren Bruder – mag ich seinen humorvollen Charakter mit einer grossen Portion Gelassenheit. Ich bin beeindruckt, wie er in sich selber ruht und offenbar exakt den Lebensweg geht, der zu ihm passt.
Wir haben einen demokratischen Rechtsstaat und nicht einen religiösen Gottesstaat.
Urban Federer: An meiner Schwester beeindruckt mich ihre Wahrhaftigkeit und ihr Einsatz dafür. Wenn sie etwas anpackt, dann engagiert sie sich auch.
Ist die Schweiz ein christliches Land?
Barbara Schmid-Federer: Wir haben einen demokratischen Rechtsstaat und nicht einen religiösen Gottesstaat. Dieser Rechtsstaat muss die Religionsfreiheit gewährleisten.
Dann haben wir gewisse Bräuche und Feiertage, die christlicher Natur sind und sich über längere Zeit bei uns eingebürgert haben. Christlichkeit per se darf nicht ausschliessen und muss die Religionsfreiheit als Prinzip achten. Heute sind die christlichen Kirchen eine religiöse Form von vielen.
Urban Federer: Die Wurzeln der Schweiz sind eindeutig christlich geprägt. Auch das Schweizer Kreuz ist ursprünglich religiös gemeint. Ob die Schweiz heute ein christliches Land ist, muss an unseren Taten und an Jesus Christus gemessen werden. Generell kann das darum nicht beantwortet werden.
Die römisch-katholische Kirche und die Frauen – ein Widerspruch?
Barbara Schmid-Federer: Kein Widerspruch, sondern eine der wichtigen Herausforderungen der Institution Kirche. In die Kirchen und Gottesdienste gehen mehrheitlich Frauen. In der Freiwilligenarbeit und in der Pflege von benachteiligten Menschen engagieren sich mehrheitlich Frauen.
Auch das Schweizer Kreuz ist ursprünglich religiös gemeint.
Dieser Sachverhalt steht in grosser Spannung zu der ausschliesslich männerzentrierten Leitung der Kirche. Ich erkenne die grosse Wertschätzung, welche Priester, Bischöfe und auch der Papst den Frauenanliegen entgegenbringen. Doch ein Teil der Wertschätzung liegt auch in der Teilhabe an der Führung. Dies ist jedoch nicht nur ein kirchliches Problem, wenn ich in die Chef-Etagen von Finanz- und Versicherungsinstituten sehe.
Urban Federer: Nein, das ist kein Widerspruch. Wohl mehr als die Hälfte der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche sind Frauen. Die Fokussierung auf die Fragen nach dem Frauenpriestertum lässt ausser Acht, dass sich Frauen an vorderster Front etwa für die Bildung und gegen die Armut einsetzen – was in den meisten Ländern gleichkommt mit der Förderung der Frau.
Papst Franziskus fordert darum eine deutlichere weibliche Präsenz in den kirchlichen Gemeinschaften, in der seelsorglichen Verantwortung, in der Begleitung von Menschen und in der theologischen Reflexion.
Wie stehen Sie zu Konfessionsfreien und Atheisten?
Barbara Schmid-Federer: Ich beurteile Menschen nicht nach ihrer Konfession. «Christlich» bedeutet für mich, dass jeder Mensch den gleichen Wert hat, unabhängig davon ob er oder sie arm, reich, Flüchtling, Banker oder eben gläubig oder Atheist ist.
Urban Federer: Ich kenne kaum Berührungsängste und bin grundsätzlich offen für den Dialog mit Menschen. Die Frage ist oft eher, wie andere zu mir stehen! Für das Miteinander unter uns Menschen braucht es immer beide Seiten.
Wir kommen als Gesellschaften nicht am Thema der Religionen vorbei.
Wie sehen Sie die Zukunft der Religion?
Barbara Schmid-Federer: Alle Indizien in den letzten zwei Jahrzehnten deuten darauf hin, dass das religiöse Erleben und Empfinden der Menschen öffentlich les- und hörbar geworden ist. Deshalb gilt es, die Frage umzukehren: Wie sieht das Religiöse der Gegenwart und Zukunft aus?
Gehen Sie einmal an einem Wochenende in eine Stadtkirche oder in eine Klosterkirche. Dort entdecken Sie die Vielfalt und Farbigkeit heutiger religiöser Erfahrung. Ökumene und Interreligiosität bestimmen die Agenda von Gegenwart und Zukunft.
Urban Federer: Wir kommen als Gesellschaften nicht am Thema der Religionen vorbei, darum müssen wir uns mit ihnen beschäftigen. Und die Religionen selbst dürfen sich nicht abkapseln. Es hängt künftig nicht zuletzt an der Haltung der Religionen, ob und wie der Weltfriede erreicht und Terror eingedämmt werden kann.
Das Gespräch führte Norbert Bischofberger.