SRF: Ist das Experiment Leserbeteiligung gescheitert?
Martin Wettstein: Ich denke nicht. Die verschiedenen Anbieter mussten herausfinden, was die Funktion der Leserkommentare sein soll – und die kann sich je nach Anbieter unterscheiden.
Für eine «20 Minuten» ist es wichtig, dass es kontroverse Themen gibt, über die man redet. Für einen «Blick» ist es wichtig, dass die Leute ihre Gefühle mitteilen können.
Und für die NZZ wäre es eben wichtig, dass die Leute diskutieren, fundierte Argumente austauschen, informiert miteinander reden können.
Nun heisst es bei der NZZ, die Leser diskutieren nicht miteinander, sondern beschimpfen sich und die Journalisten. Das beobachten wir nicht nur bei der NZZ: Waren die Erwartungen an die Leserkommentare zu hoch?
Man hat am Anfang nicht erwartet, dass es so emotional wird. Man ist von Leserbriefen ausgegangen, in denen über etwas nachgedacht wird. Die Online-Kommentare sind viel schneller. Sie werden geschrieben, wenn die emotionale Reaktion da ist. Dadurch sind sie immer etwas hitziger.
Aber auch daran hat man sich mittlerweile gewöhnt. Man kann auch mal langsamer kommentieren. Sich noch einmal überlegen, ob man einen Kommentar wirklich abschicken will.
Viele Medienhäuser dachten: Wenn die Leute ihre Personalien offenlegen müssen, wird es ruhiger.
Die NZZ sagt jetzt, sie setze künftig auf ausgewählte Fragen und Artikel, über die sie mit Lesern online diskutieren will. Andere Medienhäuser setzen ebenfalls auf diese Form der Leserbeteiligung. Finden Sie das sinnvoll?
Für ein Format wie die NZZ sind moderierte Diskussionen sinnvoll. Wenn die Leute Zeit haben, miteinander zu diskutieren. Wenn es Diskussions-Threads gibt. Wenn man auf die Argumente der Anderen eingehen kann. Da ist das Format der sehr kurzen Kommentare unter den Artikeln vielleicht nicht so geeignet.
Es gibt ja auch Medienhäuser, die sagen, dass eine Diskussion gar nicht mehr möglich ist. Da geht es nur noch darum, wer recht hat.
Deswegen hat es auch nicht funktioniert. Viele Medienhäuser dachten: Wenn die Leute ihre Personalien offenlegen müssen, wird es ruhiger. Tatsächlich aber finden die meisten, sie hätten recht mit ihrem Standpunkt.
Wer mitdiskutiert, fühlt sich im Recht.
Dann ist der eigene Name unter dem Beitrag natürlich nichts, das man verhindern möchte. Im Gegenteil: Man will tatsächlich sagen, ich habe recht und stehe dazu. Wer mitdiskutiert, fühlt sich im Recht.
Die Medienhäuser haben eine Community ins Leben gerufen, die ihnen zum Teil Sorgen bereitet und die nicht zuletzt einen grossen Aufwand bedeutet: Welche Strategie sollen Medienhäuser heute fahren?
Das hängt stark davon ab, was man sich von den Kommentaren erwartet. Die meisten Medienhäuser werden in den letzten Jahren die Massnahmen getroffen haben, die sie brauchen, damit das für sie funktioniert.
Die «20 Minuten» zum Beispiel hat angefangen, Kommentare in die gedruckten Artikel einzubauen, wenn ein Artikel online stark diskutiert wird. Um zu zeigen: Da läuft eine Diskussion, mach doch mit!
Man geht mit der Kommentarfunktion mittlerweile so um, wie man es für das eigene Medium braucht.
Das Gespräch führte Barbara Peter.
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Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 6.2.2017, 17:08 Uhr