Irische Mönche brachten im 6. Jahrhundert Kultur auf den Kontinent. Die Historikerin Magdalen Bless über die Legenden der irischen Mönche, ihren Einfluss auf Europa und die Schweiz und wieso St. Gallen einen Bären im Wappen hat.
SRF: Gallus und andere irische Mönche brachten im 6. Jahrhundert das Christentum nach Europa. Was für ein Europa fanden sie vor?
Magdalen Bless: Das hochentwickelte, damals bereits christliche Römische Reich ging krachend unter. Die neuen Herren Europas waren analphabetische, aus römischer Sicht unzivilisierte Germanen. Weite Teile Europas waren zerstört, der Kontinent lag kulturell, wirtschaftlich und politisch am Boden. Europa erlebte einen Alptraum.
Anders die irischen Mönche. Sie waren bekannt für ihre Bildung.
Irland galt damals als strahlende «Insel der Heiligen und Gelehrten». Während ägyptische Mönche in die Wüste zogen, um dort zu meditieren, gründeten die Iren Klöster, die zu Zentren der Kultur wurden. Bücher waren ihnen heilig. Sie zelebrierten die Dichtung und die Musik.
Es war ein besonders beseeltes Christentum.
Sie hatten auch einen speziellen Draht zur Natur.
Viele Legenden erzählen von irischen Mönchen, die mit den Tieren sprechen. Etwa Gallus, der einem Bären sagte, er solle Holz holen und dann nie wieder zurückkehren. Dank dieser Episode wurde der Bär in der Kunst zum Attribut des heiligen Gallus. Er ziert auch die Wappen des Klosters und der Stadt St. Gallen, der Stadt Wil und der beiden Appenzell.
Was für ein Christentum lebten Gallus und die irischen Mönche?
Es war ein besonders beseeltes Christentum. Sie pflegten einen einfachen Lebensstil, nahmen nur eine Mahlzeit pro Tag zu sich. Sie gingen menschlich freundschaftlich miteinander um – anders als der damalige grobe Umgang auf dem Kontinent. Sie pflegten die Seelenfreundschaft: Jeder Mönch vertraute sich einem anderen Mönch an, dem er beichtete. Für sie war ein Mensch ohne Seelenfreund wie ein Leib ohne Kopf.
Ihre vielen gegründeten Klöster waren friedliche Zentren der Entwicklungshilfe.
Wieso verliess Gallus zusammen mit anderen Mönchen überhaupt die irische Heimat?
Nicht die Missionierung stand zu Beginn im Zentrum. Der Treiber war die «Peregrinatio pro Christo» – die Pilgerschaft für Christus. Die Iren waren anfällig fürs Heimweh, für sie gab es nichts Schlimmeres, als ihre geliebte Insel und damit auch ihre Sippe, ihre Sprache zu verlassen. Die Mönche verliessen ihre Insel, um wie Christus als Fremdling in dieser Welt unterwegs zu sein.
Was verdanken wir den irischen Mönchen heute noch?
Ihre vielen gegründeten Klöster waren friedliche Zentren der Entwicklungshilfe. Etwa das Kloster Luxeuil im heutigen Frankreich umfasste Kirchen, Mönchsbehausungen, Schule, Landwirtschaft, Werkstätten, Läden, Armenhäusern und Hospizen. Das Kloster stand in regem Austausch mit der Landbevölkerung, zu deren Entwicklung und Christianisierung es wesentlich beitrug. Die irischen Mönche haben nicht nur materiell, sondern auch geistig zur Entwicklung Europas beigetragen.
Während Gallus‘ Gefährte Columban nach Norditalien zog, blieb Gallus am Bodensee zurück. Wie prägte er die Region?
Gallus wollte fortan als Eremit in Einsamkeit leben. Mehrere höhere Ämter, die ihm zugetragen wurden, lehnte er ab. Vielmehr liess er sich in einer Waldlichtung an der Steinach nieder. Bald schon gesellten sich Schüler und Jünger zu ihm, um ein klösterliches Leben zu führen. Auf dieser Eremitensiedlung entwickelte sich das Kloster St. Gallen – ein geistiger Leuchtturm im damaligen Alemmanien.
Wo in der Schweiz treffen wir heute noch auf das Erbe irischer Mönche?
Fridolin, Glaubensbote des Glanerlandes, gründete das Kloster Säckingen. Er ziert das Glarner Wappen. Das Kloster Disentis am Lukmanierpass geht auf Sigisbert zurück, der als Mönch in Luxeuil gelebt hatte. In der Bodenseeregion finden wir weitere Kloster, die auf irische Mönche zurückgehen. Sie haben den Kontinent eindeutig verändert.