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Mann hält einen Löffel und ein Gläschen mit giftgrüner Substanz in den Händen.
Legende: Essen hat viele Dimensionen: Umweltschutz, Gesundheit und Gerechtigkeit sind Aspekte, die uns als Esser beschäftigen. Reuters

Gastrosoph Harald Lemke Essen als Philosophie: Kann man Weisheit mit Löffeln essen?

Weisheit geht durch den Magen. Harald Lemke ist überzeugt: Wir stehen an einem Scheideweg der menschlichen Entwicklung.

SRF: Die Fastenzeit hat begonnen. Auch für Sie?

Harald Lemke: Ich persönlich faste nicht, aber es spricht einiges dafür, es zu versuchen.

Was denn?

Neben den medizinischen Vorteilen, die das Fasten zu haben scheint – Stichwort «Entschlackung» –, hilft es, sich die eigenen Ernährungsgewohnheiten bewusst zu machen, sie zu reflektieren und neu zu kalibrieren.

Wir erleben seit einigen Jahren einen Boom des Essens und Kochens. Warum?

Tatsächlich, die vielen Kochshows und Diätratgeber belegen das. Dahinter steckt eine zunehmende gesellschaftliche Sensibilisierung, die ich sehr begrüsse.

Es findet ein Umdenken statt. Bei TV-Köchen wie Tim Mälzer ist sogar eine «Ethisierung» festzustellen, weg vom rein Geschmacklichen hin zu den ethischen und gesellschaftlichen Fragen der Ernährung.

Jede Kultur hat ihre Raffinessen der Luststeigerung, beim Sex ebenso wie beim Essen.

Ein seltsamer Trend besteht gegenwärtig darin, das eigene Essen zu fotografieren. Machen Sie das auch?

Zur Person

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Legende: Anke Haarmann

Harald Lemke ist deutscher Philosoph und Kulturwissenschaftler. Er lehrt und forscht in den Bereichen Ernährungsethik und Gastrosophie. Zuletzt erschien sein Buch: «Über das Essen: philosophische Erkundungen.», Wilhelm Fink Verlag, 2014.

Diese Neigung zum «Foodporn» habe ich nicht. Aber jede Kultur hat ihre Raffinessen der Luststeigerung, beim Sex ebenso wie beim Essen.

Beides, Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme, sind ja biologische Mechanismen. Aber man muss eben schauen, dass das Notwendige auch vergnüglich bleibt.

Was interessiert Sie als Philosoph am Essen?

Da gibt es mehrere Dimensionen. Zentral ist sicherlich die Ethik des Essens, die unser Verhältnis zur Natur und zu unserem Körper überdenkt und nach der Gerechtigkeit fragt.

Es gibt auf dieser Welt immer noch sehr viele Menschen, die Hunger leiden, während hierzulande Feinschmecker ihren Gaumen kitzeln. Hinzu kommt noch eine kulturphilosophische Dimension, die Trends wie etwa die «Fastfoodisierung» untersucht.

Wer war denn der grösste Feinschmecker unter den Philosophen?

Die Antwort mag Sie überraschen: Immanuel Kant. Der pietistische Kosmopolit aus Königsberg hat nämlich jeden Mittag ein Ritual der Mahlgemeinschaft gepflegt. Tiefsinnige Gespräche bei feinem Essen. Er sah darin ein hohes Gut, ja sogar «ein Stück wahre Humanität».

Man ist, was man isst

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Machen Sie das auch?

Noch nicht, aber mir schwebt so etwas vor. Der Gedanke ist inspirierend, mithilfe des Essens an eine neue Menschheit zu denken. Der aufkommende Trend der «social cooking clubs» bezeugt diese gesellschaftliche und vielleicht auch menschliche Entwicklung.

Menschliche Entwicklung?

Die gegenwärtige Tendenz zum «Transhumanismus» möchte weg vom körperlichen Menschen, vielleicht auch weg von der Erde, hin zu einem optimierten, körperlosen Geist.

Dem steht eine Koch- und Esskultur gegenüber, die auf eine nachhaltige Bewirtschaftung unserer Erde setzt und körperliche Genüsse hochhält. Diese beiden Kräfte ringen gegenwärtig miteinander.

Und wo zieht es Sie hin?

Eindeutig zum Körperlich-Sinnlichen.

Wir müssen immer über das Essen nachdenken.

Philosophie ist dem Wortsinne nach die «Liebe zur Weisheit». Kann man durch Essen weiser werden?

Ich denke schon. Im lateinischen Wort für Weisheit «sapientia» steckt übrigens auch das Schmecken, denn «sapio» heisst «ich schmecke». Auch unter anthropologischen Gesichtspunkten ist der Gedanke überzeugend, schliesslich hat der Mensch sich im Lauf der Geschichte die Weisheit buchstäblich angegessen.

Hinzu kommt, dass wir – anders als andere Tiere – keinen natürlichen Nahrungsinstinkt haben. Das heisst, wir müssen immer über das Essen nachdenken: Was ist gut für uns, was nicht? Unsere Vorfahren mussten Kochtechniken und Anbaumethoden erlernen. Essen ist beim Menschen eine Kulturtechnik.

Man entdeckt neue Lüste, ganz ohne Fleisch.

Haben Sie konkrete Tipps, wie wir besser essen können?

Mehr Bio, mehr regionale und saisonale Produkte. Und weniger Fleisch, vielleicht einmal die Woche, wenn überhaupt. Der Vegetarismus überzeugt mich nicht nur moralisch, sondern bietet auch in ästhetischer Hinsicht neue Möglichkeiten. Man entdeckt neue Lüste, ganz ohne Fleisch.

Ihr kulinarischer Geheimtipp?

Selbstangebautes! Dadurch lernt man die natürlichen Vorgänge kennen und gewinnt einen persönlichen Bezug zum Essen.

Ich engagiere mich in einem gemeinschaftlichen Versuch der Selbstversorgung. Da finden interessante Begegnungen statt, man tauscht sich aus, hilft einander.

Das berührt letztlich nicht nur kulinarische, sondern auch gesellschaftspolitische Fragen. Man lernt nicht nur gut zu essen, sondern auch gut zusammenzuleben.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 12.03.2017, 11:00 Uhr

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