Wie viele von uns würden noch Sushi essen, wenn sie den 400-Kilo-Fisch selbst zerlegen müssten? Wer von uns würde noch auf seinem frischen Papayasaft bestehen, wenn er sich bewusst wäre, was für den Anbau der Früchte nötig ist? Wenn er den Eingeborenen eigenhändig aus dessen Lehmhütte schmeissen müsste, um Ackerland zu gewinnen? Wohl nur sehr Wenige.
Dem Essen entfremdet
Genau von diesen Fragen lässt sich die Ethnologie-Professorin Mareile Flitsch leiten. Ihr geht es darum, Auswege aus unserer kulinarischen Entfremdung zu finden. Diese Entfremdung ist für Flitsch und viele ihrer Kollegen verantwortlich für unseren empörenden Umgang mit den Nahrungsressourcen der Erde.
Es sei diese «ungeheure Entfernung zum Essen», die uns resistent mache gegen ethisches Handeln im Umgang mit Nahrungsmitteln. Es gibt viele Beispiele, die die Auffassung der Direktorin des Völkerkundemuseums der Universität Zürich belegen.
Wer Essen wertschätzt, schätzt den Menschen
In einer Welt, in der Nahrungsmittel global produziert werden, verliert der gestresste Mensch zu den meisten seiner Lebensmittel den natürlichen Bezug. Wir diskutieren den Zucker- und Proteingehalt eines Nahrungsmittels – und schon der 5-Jährige weiss, dass frisch gepresster Orangensaft mehr hermacht als das Zeug aus dem Tetrapack. Wir kennen uns aus mit Warenwerten und den Statuseigenschaften einzelner Nahrungsmittel. Aber wir haben keine Ahnung, was es alles braucht, um diese Lebensmittel zu produzieren.
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Flitsch setzt sich dafür ein, dass wir unsere Wertschätzung von Nahrungsmitteln erneuern. Damit meint sie nicht nur, dass wir uns über den vollen Teller freuen sollen. Wir müssen auch wieder Kompetenzen im Umgang mit Essen erlangen.
Darunter versteht die auf Ernährung spezialisierte Ethnologin unter anderem Essensplanung, Einkauf und Herstellung, aber auch faktisches Wissen. «Mit Ernährungsfertigkeiten ausgestattete Weltbürger werden sich dem Konsum problematischer Nahrungsmittel zu entziehen versuchen», sagt Flitsch.
Nicht nur Tiere schützen, sondern auch Menschen
Erst wer wieder gelernt hat, dass Nahrungsmittel mehr sind als Magenfüller, kann sein Einkaufsverhalten wahrnehmen. Und allenfalls auch anpassen.
Dass das grundsätzlich möglich ist, beweisen zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit. Gänseleber, dereinst das Statussymbol zahlloser Jetsetter, ist heute bei der Upperclass nicht selten verpönt. Desgleichen Froschschenkel oder Schildkrötensuppe. Kaum jemand kauft mehr so etwas. Eines zeigen diese Beispiele ganz deutlich: Wenn Konsumenten entscheiden, dass ein Produkt nicht mehr angemessen ist, kann dieses praktisch über Nacht aus den Regalen verschwinden.
Menschen sollen für die Probleme der Nahrungsbeschaffung sensibilisiert werden. Das kann laut Flitsch auch erreicht werden, indem bestehende Tendenzen verstärkt, beziehungsweise übertragen werden. Wie beim Tierschutz: Das Tierwohl wird heute von vielen stärker gewichtet als der Genuss.
Wir können unser Mitgefühl für Meeresschildkröten mit unseren Konsumgewohnheiten verknüpfen. Das müsste auch mit dem trostlosen Schicksal hunderttausender Menschen möglich sein.