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Geflüchtete an Hochschulen Für Geflüchtete ist der Weg zum Studium schwer

Geflüchteten stehen viele Hürden im Weg, um in der Schweiz zu studieren. Der nationale Studierendenverband kämpft dagegen an.

«Integration bedeutet in der Schweiz: Integration in den Arbeitsmarkt», sagt Marina Bressan vom Verband Schweizer Studierendenschaften (VSS). «Man versucht, Geflüchtete möglichst schnell in einfache Arbeiten zu vermitteln, ohne zu bedenken, dass Menschen verschiedene Potenziale haben.»

Diese solle man aber nutzen und fördern – das sei eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes sinnvoll. Doch zurzeit sei ein Studium in der politischen Integrationsagenda nicht vorgesehen. Entsprechend wird es auch nicht gefördert.

jungen Menschen machen notizen und rechnen etwas am Taschenrechner
Legende: In der Schweiz entscheidet jede Hochschule autonom, welche ausländischen Maturitätsabschlüsse sie anerkennt. KEYSTONE / Petra Orosz

Seit 2016 haben sich von über 100‘000 Personen mit Fluchthintergrund nur rund 130 Geflüchtete regulär immatrikuliert, schreibt der VSS. Laut Schätzungen hätten aber bis zu 10‘000 die Voraussetzungen dafür.

Hohe Hürden

Geflüchtete müssen das entsprechende Sprachniveau nachweisen, meistens C1. Asylsuchende im laufenden Verfahren, also mit Status N, erhielten allerdings keine systematischen Deutschkurse, erläutert Bressan. Dann brauche es ein Matur-Äquivalent, oft sogar ein Bachelor-Diplom sowie einen Studienplatznachweis im Herkunftsland.

«Das ist sehr schwierig», sagt Marina Bressan, «manchmal gehen Dokumente auf der Flucht verloren. Oder Diplome werden hier in der Schweiz nicht anerkannt.»

Wenn tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Finanzierung noch offen. Je nach Status haben Geflüchtete kein Anrecht auf Stipendien.

Die Kantonsgrenze als Hürde

Im Fall der Kurdin Şevîn (Nachname der Redaktion bekannt) kommt eine weitere Hürde hinzu: Sie braucht ein einjähriges Vorpraktikum für ein Studium an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie möchte dort Energie- und Umwelttechnik studieren.

An der Universtiät Diyarbakır in der Türkei hatte sie ein Biologiestudium begonnen. Aus politischen Gründen musste sie es abbrechen und fliehen, erzählt sie.

Tatsächlich fand sie in der Schweiz einen Arbeitgeber für ein Praktikum. Allerdings ausserhalb ihres Wohnkantons. Das wäre aber die Voraussetzung für eine Bewilligung des Kantons gewesen.

«Ich verstehe es nicht. Man darf in der Schweiz mit N-Ausweis studieren oder eine Ausbildung machen. Aber jeder Kanton hat seine eigenen Regeln», sagt Şevîn.

Petition eingereicht

«Şevîns Fall zeigt sehr gut, wie schwer es für hoch motivierte, gebildete, junge Geflüchtete ist, zu studieren,» sagt Marina Bressan. Im Projekt «Perspektiven Studium» erarbeitet sie mit 38 Geflüchteten und 7 Mitarbeitenden aus Hochschulprojekten konkrete Forderungen an die Politik.

Diese fliessen in eine grössere Kampagne «Bildung jetzt – für alle» ein. Eine Petition wurde bereits im Oktober lanciert und wird in einem Jahr beim Bundesrat eingereicht.

Studium als Integrationsweg anerkennen

Zu den Forderungen der Petition gehören die systematische Förderung von Deutschkursen bis zum erfragten Niveau und flexiblere Zulassungsverfahren, wenn Dokumente fehlen. Zum Beispiel durch Vorkurse und anschliessende Prüfungen.

Bisher gibt es nur an der Universität Genf ein umfangreiches Brückenangebot für studentische Geflüchtete. Weitere Universitäten haben Aufnahmeverfahren «sur dossier»: Dabei können Leistungen beispielsweise in einem Portfolio oder durch Fachprüfungen nachgewiesen werden.

«Es wäre sinnvoll, dass sich jede Universität alternative Zulassungsmöglichkeiten überlegt. Politisch fordern wir, dass ein Studium als Integrationsweg anerkannt und entsprechend auch finanziell unterstützt wird», sagt Marina Bressan vom VSS.

Die 31-jährige Şevîn sucht derzeit weiter nach einem Praktikum, diesmal in ihrem Kanton. «Wir tun viel», sagt sie, «wir lernen die Sprache, Kultur, das Schweizer System kennen. Aber wir brauchen auch eine Chance.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 6.11.2020, 17:10 Uhr

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