Eigentlich hätten die Olympischen Spiele in Tokio jetzt beginnen sollen. Wegen der Corona-Pandemie wurden sie auf 2021 verschoben. Der Reclam Verlag bringt in seiner Reihe «100 Seiten» jetzt ein Buch heraus, das dazu anregt, über Sinn und Unsinn des sportlichen Gross-Events nachzudenken.
Autor Gunter Gebauer, Philosoph, Sportsoziologe und ehemaliger Leistungssportler, geht in knapper Form der Idee und Geschichte der sportlichen Spiele nach. In knackig kurzen, klar verständlichen Texten skizziert er die Entwicklung der Olympischen Spiele von der Antike bis heute.
Im antiken Griechenland waren die Spiele mit kulturellen und vor allem auch mit kultischen Handlungen verbunden. Die olympische Idee der Gemeinschaftlichkeit galt ausschliesslich für männliche Griechen.
Ein sportliches Miteinander
Die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit beginnt 1896 mit den ersten Spielen, die Pierre de Coubertin organisiert hat. Der französische Baron war begeistert von der Kultur der Antike und dem britischen Sportsgeist.
Seine Idee war ein friedlicher Wettkampf, der die Welt in ein grosses, sportliches Wir verwandeln sollte. Dass Coubertin gleichzeitig davon träumte, französische junge Männer körperlich fitter zu machen und damit auch ihre militärische Schlagkraft zu erhöhen, gehört zu den zahlreichen unauflöslichen Widersprüchlichkeiten, die seit je mit den Olympischen Spielen verbunden sind.
Religiöse Bedenken, politische Konflikte
Gebauer zeigt auf, wie eng die Olympischen Spiele mit gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen verbunden sind. Er erzählt von Boykotten und Ausschlüssen diverser Nationalteams während des Kalten Kriegs und von der wachsenden Kommerzialisierung seit den 1980er-Jahren.
Viele Ereignisse werden in lexikalischer Kürze abgehandelt. Hin und wieder wird Gebauer auch mal etwas ausführlicher. So erzählt er von den politischen Konflikten, die die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam ausgelöst haben: Die religiösen Parteien in der niederländischen Regierung waren entschieden gegen die Spiele, weil sie heidnischen Ursprungs seien.
Oder er berichtet von den Spielen in München 1972, mit denen die Bundesrepublik Deutschland sich bemühte, sich als modernes, friedliches, fortschrittliches Land zu präsentieren.
Man wollte der Erinnerung an die Spiele von 1936, die von den Nazis als Propaganda-Schau genutzt worden waren, ein freundliches Deutschland-Bild entgegensetzen. Und ausgerechnet diese Spiele wurden zum Schauplatz eines blutigen Attentats.
Gebauer kritisiert die kommerzielle Ausrichtung der Spiele immer wieder heftig in Zeitungsessays und Interviews. In seinem Kurzbrevier zu den Olympischen Spielen bleibt er recht nüchtern im Ton.
Alles, was man wissen will
Zahlreiche Zwischentexte zu Themen wie den Winterspielen, den Paralympics, Frauen im Sport oder architektonischen Highlights im Stadien-Bau machen das Büchlein zu einem guten Nachschlagewerk, in dem fast alle wichtigen Aspekte der Olympischen Spiele zumindest kurz angesprochen werden.
Und für alle, die mehr wissen wollen, gibt’s am Ende ein ausführliches Literaturverzeichnis.