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Gendergerechte Sprache Der Gott? Die Gott? Das Gott?

Das Gebetbuch soll «entmännlicht» werden, fordern Vertreterinnen und Vertreter einiger christlicher Kirchen in den USA. Frevel oder fair? Und wie steht die Schweiz dazu?

Bis zu 6828 Mal ist in Bibelübersetzungen die Rede von Gott als «Herrn» – von Gott als «Herrin» steht da nichts. Kirchen in den USA diskutieren derzeit diese Ungerechtigkeit. Die Episkopalkirche will ihr Gebetbuch umschreiben: statt «he» soll auch «she» verwendet werden, statt «er» also auch «sie».

Episkopalkirche

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Die Episkopalkirche ist eine selbstständige Kirche, die eine Mittelstellung zwischen Katholizismus und Protestantismus einnimmt. Die Episkopalkirche feiert die Messe und hat das dreigliedrige Amt – bestehend aus Bischof, Priester, Diakon – beibehalten. Damit steht sie der römisch-katholischen Kirche näher als der protestantischen.

Die schwedische Kirche spricht Gott seit Pfingsten dieses Jahres geschlechtsneutral an. Ist das fair oder Frevel? Und wie steht die Schweiz zu dem Thema? Ein Gespräch mit Theologin Judith Wipfler.

Judith Wipfler

Judith Wipfler

Leiterin Fachredaktion Religion, Radio SRF

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Judith Wipfler ist reformierte Theologin und seit 2014 Teamleiterin der Fachredaktion Religion bei Radio SRF. Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied der Redaktion.

SRF: Was ist das Problem daran, Gott nicht nur als «er», sondern auch als «sie» zu bezeichnen – wo sich doch alle Kirchen einig sind, dass Gott weder männlich noch weiblich ist?

Judith Wipfler: Es geht hier um das Gottesbild. Mit dem Begriff «Herr» wird das patriarchale Bild eines Herrschers gezeichnet – im Gegensatz zu dem Gottesbild eines Freundes oder der Mutter.

Weibliche Gottesbilder haben sich mittlerweile aber eingebürgert: In Gebeten wird häufig nicht nur «Vater», sondern auch «Mutter» gesagt.

Weibliche Gottesbilder sind durch die patriarchale Struktur der Kirchen zugeschüttet worden.

Schon in der Bibel gibt es weibliche Gottesbilder: Da geht es etwa im Ersten Testament um Gott als Gebärende oder als stillende Mutter.

Diese Bilder sind durch die patriarchale Struktur der Kirchen zugeschüttet worden. Frau und Mann wollen sie wieder hervorholen. Bei Jesus Christus kommt man allerdings nicht drüber hinweg, dass er ein Mann war. (lacht)

In Schweden hat die evangelisch-lutherische Kirche den Begriff des «Gottvaters» abgeschafft – mit Ausnahme im «Vaterunser». Warum?

Es ist das Gebet Jesu. Ein ziemlich gut überlieferter Text und fast der einzige, der von Christinnen und Christen auf der ganzen Welt so gebetet wird – egal, ob sie orthodox, katholisch, evangelisch, etc. sind. Die Ökumene spielt hierbei eine wichtige Rolle: Man soll zusammen beten können.

Finden die Bemühungen um eine gendergerechte Sprache – wie in Schweden – vor allem in reformierten Kirchen statt?

Nein, auch in der römisch-katholischen Kirche. Wenn man in eine moderne katholische Gemeinde geht, kann es auch sein, dass von der «Heiligen Geistkraft» die Rede ist und nicht vom «Heiligen Geist». Das hat eher etwas mit Nord-Süd zu tun, bzw. mit dem progressiven Westen. Das spiegelt sich dann in den Kirchen wider.

Die Kirche ist in Schweden hierarchisch organisiert, da kann etwa von oben nach unten durchgesetzt werden. Das geht bei den Schweizer Reformierten nicht: Da entscheidet jede Kirchgemeinde für sich. Oder die Pfarrperson, die gewählt wird, weil sie progressiv ist oder nicht.

Wie sieht es in Schweizer Kirchen in Sachen gendergerechte Sprache aus?

Das Problem ist aber erkannt, die Sensibilisierung vorhanden. Gendergerechte Sprache ist in den Verfassungen der einzelnen Kirchen festgeschrieben, auch bei den Katholiken.

In der Schweiz ist das Problem erkannt, die Sensibilisierung vorhanden.

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hat erst kürzlich eine Weisung an die Kantonalkirchen herausgegeben: Achtet auf eine gendergerechte Sprache. So krass wie bei den Schweden – ab heute sprechen wir nicht mehr von «ihm» – wird es aber nicht durchgeführt.

Das heisst, die Schweiz ist auf einem guten Weg?

Es gibt leider immer wieder Rückschläge. Zum Beispiel bei den neusten beiden Bibelübersetzungen. So gut die Neue Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung auch sind – sprachlich, wissenschaftlich, historisch: Darin steht wieder «HERR», mit Grossbuchstaben geschrieben.

Da habe ich mich geärgert: Das kann doch nicht sein, dass ihr das immer noch macht. Das ist so antiquiert.

Die neusten beiden Bibelübersetzungen sind Rückschläge.

Diese Übersetzungen sind die Texte, die man während der kommenden 50 Jahre im Gottesdienst und im Unterricht hört. Das ist die Sprache, die sich einem einprägt. Das ärgert mich.

Zumal 2006 eine deutsche Bibel in gerechter Sprache herausgekommen ist, in der abgewechselt wird etwa zwischen «die Ewige», «der Ewige» oder «die Heilige», «der Heilige».

Es wird auch immer wieder diskutiert, als neutrale Form das Neutrum zu verwenden. Würde man damit Gott zu sehr verdinglichen, zu klein machen?

Gott ist das grosse «Du». Zu einem Neutrum «Du» zu sagen, ist schwierig. Deswegen finde ich das ungeschickt. Dass Gott jenseits der Geschlechter ist, ist aber Grundkonsens. Auch klassische, konservative Theologen würden das sagen. Das ist keine feministische Idee.

Mit der feministischen Bewegung kam die Forderung nach einer gendergerechten Sprache aber auf. Das Thema ist also nicht neu, sondern alt.

Ich weiss noch, als 14-Jährige klebte ich einen Aufkleber auf meinen Schulordner, das war Ende der 1980er-Jahre: «Als Gott den Mann schuf, übte sie bloss».

Da gab es dann einige Diskussionen drüber: «Meinst Du wirklich, dass Gott eine Frau ist?» Darum ging und geht es nicht. Es geht darum zu kapieren, dass da was nicht stimmt, wenn wir in Kategorien von männlich und weiblich von Gott reden.

Das war Ende der 1980er-Jahre. Das Thema ist also nicht neu, aber noch immer nicht gelöst.

Das Gespräch führte Nadja Röll.

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