Sie lebt ganz anders als viele Georgierinnen um die 30: Nana. Sie ist nicht verheiratet. Sie wohnt nicht mit der Grossfamilie zusammen, sondern mit ihrem Freund, und die beiden haben (noch) keinen Nachwuchs. «Ich würde sowieso nicht wollen, dass meine Kinder hier aufwachsen», sagt Nana.
«Unendlich viele Welten»
In Georgien gibt es zwar Nachtclubs mit Darkrooms, aber kaum ein homosexuelles Paar, das seine Zuneigung öffentlich zeigt.
Auf der Strasse bekreuzigen sich die Menschen fortwährend. In den Spielcasinos geniessen Touristen aus dem arabischen Raum die Freiheiten des westlichen Lebens. Und für die Russen ist Georgien eine Art Italien, ein warmer Sehnsuchtsort am Meer.
«Es gibt hier unendlich viele Welten, die parallel existieren und sich nie berühren», sagt Autor David Gabunia. Sein Roman «Farben der Nacht» war eine der Entdeckungen an der vorletzten Frankfurter Buchmesse.
Der Autor gilt als feiner Beobachter der gesellschaftlichen Entwicklungen im Land. Auch sein nächstes Buch wird sich mit den Gräben in Georgien befassen: Homosexualität und Glaube.
Junge feiern, Alte betteln
Zahllose alte Frauen – und viel weniger alte Männer – betteln in diesem patriarchalen Land, weil 200 Lari Rente (knapp 70 Franken) im Monat kein Überleben sichern.
Gleichzeitig saniert die Stadt ganze Quartiere, wo die Mieten dann für Normalverdiener nicht mehr erschwinglich sind. Tbilissi wird gerade aufgewertet.
Auf besonders charmante Weise geschieht das in der Fabrika – einem Hostel und Co-Working-Space. Im Innenhof reihen sich hippe Läden und Bars aneinander.
Digitale Nomaden blinzeln ins Bildschirmlicht. Man hört viel Englisch, aber auch lokale Gäste kommen hierher. Hier zeigt sich Tbilissi jung, schön und wahnsinnig modisch. Mittendrin: Nana.
Kindheit im Bürgerkrieg, Zukunft in Europa
Sie trägt, wie viele hier, Erinnerungen an von Panzern zerfurchte Teerstrassen, Männer mit Gewehren und aggressive Hunderudel in sich. An Hausaufgaben im Schein der Öllampe, an eine Kindheit ohne Elektrizität.
Und sie denkt gerne an das fünftägige Technofestival in Portugal zurück, den Trip nach Berlin, die schöne Italienreise und auch an Ferientage in der Schweiz.
Eigentlich hätte Nana einen guten Job als Dekanin an einer Eliteschule. Sie verdient 700 Franken im Monat (der Durchschnittslohn liegt bei knapp 380 Franken). Aber sie ist überzeugt, dass die Politik in ihrem Land von Russland gesteuert wird.
Dass hier nur eine Chance hat, wer zu den vermögenden, mächtigen Zirkeln gehört. Dass all das Demonstrieren in den letzten Monaten letztlich wirkungslos bleiben wird.
«Ich lebe jetzt!»
Aber weht da nicht gerade ein frischer Wind durch ihr Land? «Klar, aber was soll ich mit den immer gleichen Nächten in einem Technoclub?» Nana will nicht tanzen, Nana will sich etwas aufbauen. «Ich will stabile Brotpreise», sagt sie.
Ihren Bachelor hat Nana in Amsterdam gemacht. Schon damals wäre sie gerne geblieben, fand aber keinen Job. Dieses Mal bereitet sie sich besser vor: Soeben hat sie einen Deutschkurs angefangen. In zwei Jahren will Nana ein Masterstudium in Deutschland anfangen.
Nanas Freundeskreis ist voller Leute, die schon ausgewandert sind oder zumindest davon reden. Wer kann, geht. Der Brain-Drain ist ein grosses Problem für das Land.
Fühlt sie sich nicht verantwortlich, in Georgien mit aufzubauen? Nana sagt, sie habe viel demonstriert und nun habe sie die Geduld verloren: «Wann verbessert sich die Situation in Georgien endlich? Wenn ich 82 bin! Ich lebe jetzt!»