Das Wichtigste in Kürze
- Gertrude Bell schloss 1888 die Eliteuniversität Oxford mit höchster Auszeichnung ab – ohne einen akademischen Grad zu erhalten.
- Als Archäologin und Kartographin wirkte Bell entscheidend bei der Festlegung der heutigen Grenzen des Iraks mit.
- Erst Werner Herzogs Film «Königin der Wüste» von 2015 holt Gertrude Bells Verdienste um Kultur und Politik aus der Vergessenheit.
«Ich möchte mich ganz in etwas vertiefen», erklärte die 16-jährige Gertrude Bell 1884 ihrem Vater und ihrer Stiefmutter. Diese hatten dem begabten und wissbegierigen Mädchen längst eine andere Förderung angedeihen lassen als in den Traditionen des britischen Landadels üblich.
So durfte Gertrude nun auch die Eliteuniversität von Oxford besuchen, die sie 1888 mit höchster Auszeichnung abschloss. Einen akademischen Grad verlieh man Frauen erst 32 Jahre später. Egal. Gertrude, voll «unerschöpflicher Energie» und Vitalität, wollte hinaus in die Welt.
«Häuser wie in unseren Kindermärchen»
Verwandtschaftliche Beziehungen ermöglichten ihr einen ersten Besuch in Teheran. Fasziniert beschreibt sie eine Oase in der Wüste als einen «Garten Eden ... Bäume, Brunnen, Becken, Rosen und ein Haus darin, Häuser wie in unseren Kindermärchen».
In Briefen an Vater und Stiefmutter wird sie in den nächsten Jahrzehnten so poetisch wie präzise von den weiten Landschaften und dem Stammesleben im Nahen Osten erzählen. Voller Dank für die Möglichkeit, finanziell abgesichert das Leben einer Abenteurerin und Pionierin führen zu dürfen.
Verwehrte Ehen
Kritisch wird es nur einmal: Die Eltern verbieten die Heirat mit dem britischen Grafensohn und mittellosen Diplomaten Henry Cadogan, in den sich die 24-Jährige in Persien verliebt hatte. Kurz darauf stirbt er an einer Lungenentzündung.
20 Jahre später wird Gertrudes andere grosse Liebe, der britische Diplomat Richard Doughty-Wylie, im Ersten Weltkrieg sterben – bevor er eine Wahl zwischen Gertrude und seiner Ehefrau treffen konnte.
Die Tragik gleich zweier gescheiterter grosser Lieben ist grosses Thema in Werner Herzogs Film über die «Königin der Wüste» Gertrude Bell. Ohne Herzogs Film von 2015 wären vermutlich Gertrude Bells ungeheurer Mut und Forschergeist, ebenso wie ihre späteren Leistungen für Kultur und Politik, vergessen geblieben.
Fast perfektes Persisch und Arabisch
Als die 37-Jährige 1905 zum dritten Mal reiste, waren ihr Persisch und Arabisch fast perfekt: «…was für eine Freude es ist, im Osten fast wie ein Teil davon zu leben, alles zu kennen, wie ich Syrien jetzt kenne, am Akzent und der Kleidung der Leute sagen zu können, wo sie herkommen und im Vorübergehen die richtigen Begrüssungen auszutauschen.»
Erfüllende Reisen
Im dringenden Bedürfnis, ihrer geliebten «zweiten Heimat» nützlich zu sein, forschte sie über die Kirchen Kleinasiens, arbeitete zusammen mit William Ramsay als Archäologin, kartographierte, studierte in Paris Archäologie und schrieb 1906 ihren Reisebericht «Durch die Wüsten und Kulturstätten Syriens».
Es machte sie glücklich, «viele Monate unter dem kleinen grünen Dach» ihres Zeltes zu verbringen, die Scheichs der Region zu besuchen, und ihre Kenntnisse auch mal kühn zu nutzen, um mit gefälschten Papieren einen Grenzübertritt zu ermöglichen.
Kompetent und einflussreich
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird sie dank ihrer intimen Kenntnisse der Region zur politischen Beraterin des britischen Hochkommissars in Bagdad.
Sie trägt wesentlich zur Einsetzung des ersten irakischen Königs Faisal I bei. «Ich bete, dass die Leute zu Hause richtig beraten sind und ihnen klar ist, dass die einzige Chance hier die ist, von Anfang an politische Ambitionen anzuerkennen und nicht zu versuchen, die Araber in unsere Formen zu pressen», schreibt sie 1920.
Sie setzt sich gegenüber Churchill für die weitgehende Autonomie des Iraks ein.
Bell setzte dem Irak Grenzen
Als Kind habe er die «Khatun» – hochangesehene Frau – in der Schule kennengelernt, erzählt der irakische Literaturwissenschaftler Usama Al-Shahmani, der seit 2002 in der Schweiz lebt. «Für mich war sie immer eine Figur, die die irakische Geschichte positiv in Bewegung gebracht hat.»
Als Archäologin und Kartographin wirkte Bell entscheidend bei der Festlegung der heutigen Grenzen des Iraks mit. Ebenso wie beim Aufbau des Irakischen Nationalmuseums in Bagdad.
Den Orient erzählen
Als Frau des Wortes vermochte Bell in ihren Briefen und Büchern einen Orient von magischer Schönheit und wunderbarster Fremdheit zu veranschaulichen: eine Welt, noch nicht von den Verheerungen des 20. Jahrhunderts auf immer verändert.
Mit 58 Jahren starb sie am 12. Juli 1926 in Bagdad einen nicht ganz geklärten, möglicherweise durch Schlaftabletten selbst herbeigeführten Tod.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Hörpunkt, 2.1.2018, ab 9 Uhr