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Die Ehe – ein Erfolgsmodell, doch wie lange noch?
Aus Perspektiven vom 19.12.2020. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Geschichte der Ehe Ehe für alle, aber nicht für immer

Die «Ehe für alle» ist das jüngste Kapitel in der wechselvollen Geschichte der Ehe. Seit dem Mittelalter hat sie sich immer wieder gewandelt.

Einmal Sex und schon verheiratet: So könnte man die Ehe im Mittelalter zusammenfassen. Seit 1215 galt diese Regel, sie war ein Fortschritt für Brautleute.

Zuvor hatten die Eltern alles geregelt, mit den neuen Bestimmungen konnten die Brautleute sich gegenseitig die Ehe versprechen – und das galt. Wenn dieses Versprechen dann noch mit Geschlechtsverkehr besiegelt wurde, umso besser. Eltern, Zeugen oder einen Priester brauchte es nicht.

Ist das noch Sex oder schon Ehe?

«Das war eine Befreiung und ein ganz wichtiger Schritt in Richtung der Individualisierung junger Leute», sagt Susanna Burghartz, Geschichtsprofessorin an der Universität Basel.

Allerdings waren die neuen Regeln auch nicht unproblematisch: «Es gab ständig Auseinandersetzung, ob der Geschlechtsverkehr wirklich eine Eheschliessung war oder einfach nur Sex.»

Den Trieb zähmen

300 Jahre später veränderte die Reformation die Ehe grundlegend. Die Reformatoren sahen die Ehe als Mittel, um die Sexualität in Zaum zu halten. Eine Sexualität, die sie als menschlichen Urtrieb ansahen, der unkontrollierbar und deshalb gefährlich war für die Gesellschaft.

«Sexualität ausserhalb der Ehe galt als Unzucht und musste verfolgt werden. Unehelicher Sex und uneheliche Kinder wurden kriminalisiert», erklärt Historikerin Susanna Burghartz. Und im Zuge dieser Kriminalisierung ausserehelicher Sexualität wurde auch Homosexualität immer stärker verfolgt und bestraft.

Der Staat macht mit

Die Reformatoren schufen Ehegerichte. Um zu heiraten, brauchte es neu einen Pfarrer und zwei Zeugen. Die Reformatoren führten die Scheidung ein, denn in der reformierten Kirche war die Ehe kein Sakrament mehr. Und sie holten den Staat an Bord und legten damit die Grundlage für die heutigen Standesämter und die Zivilehe.

Auch über die Liebe machten sie sich Gedanken. Sie waren der Meinung, dass die Liebe in der Ehe entstehe.

Aus dem Archiv: Die Schweiz diskutiert 1988 über ein neues Eherecht

Wie die Liebe in die Ehe kam

Das änderte sich im 18. Jahrhundert – in der Zeit der Romantik. «Die Liebe wurde damals zur Voraussetzung für eine Ehe», sagt Burghartz. Damit veränderte sich im Laufe der Zeit der Zweck der Ehe: «Die Ehe wurde von einer wirtschaftlichen Gemeinschaft, die das Überleben der Familie garantiert, zu einem Ort für intime, emotionale Beziehungen.»

Als die Pille eine sichere Verhütung ermöglichte, wurden Ehe und Sexualität entkoppelt. Ein neues Erbrecht führte dazu, dass aussereheliche Kinder dieselben Rechte haben wie ehelich. Kürzlich sagte das Parlament Ja zur Ehe für schwule und lesbische Paare.

Wie geht es weiter?

Das dürfte nicht das letzte Kapitel in der Geschichte der Ehe sein. «Wir müssen diskutieren, wie auch diejenigen Menschen einen Platz finden in unserer Gesellschaft, die anders leben möchten», sagt die römisch-katholische Theologin Susanne Andrea Birke.

Sie denke an schwule und lesbische Paare, die gemeinsam Kinder haben. An Menschen, die zusammen Kinder aufziehen, ohne ein Paar zu sein. An Paare, die ihre Kinder in einer Gemeinschaft aufziehen möchten. «Wir müssen auch diese alternativen Beziehungen schützen», betont Susanne Andrea Birke.

Die Kirchen könnten hier mit gutem Beispiel vorausgehen und Rituale anbieten, etwa Segnungsfeiern für Patchwork-Familien. «Hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wir müssen sie nur nutzen.»

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 20.12.2020, 08:30 Uhr.

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11 Kommentare

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  • Kommentar von Werner Häberli  (Wern Hably)
    Zumindest die grossen Religionen hätten sich wehren sollen um die traditionelle Bedeutung der Ehe zu verteidigen: Mann und Frau gründen eine Familie. Dass zwei unverheiratete Menschen einen Partnervertrag mit gesetzlichen / steuerlichen Folgen schliessen ist Privatsache und soll möglich sein, mit denselben Komplikationen bei der Auflösung wie eine Ehe.
    "Ehe für Alle" entwertet die traditionelle Ehe.
    1. Antwort von Francis Waeber  (der sich 'nen Wolf lacht)
      @ Häberli - selbst wenn dem so wäre spielte dies überhaupt keine Rolle. Die Verfassung ist eindeutig und steht über religiösem Aberglauben.... ;-))
    2. Antwort von Adrian Meyer  (Sapient)
      Meinen sie mit Familie das Aufziehen von Kindern?

      Ein Liebespaar soll ihrer Ansicht also nur heiraten dürfen wenn es Kinder kriegen will, da sonst die Ehe "entwertet" wird? Das scheint mir nur wirklich nicht der gesellschaftlichen Realität zu entsprechen. Ich durfte zum Beispiel im letzten Jahrzehnt über einem Dutzend Hochzeiten beiwohnen, und kein einziges dieser Paare hat bisher Kinder ...

      Wenn Heterosexuelle rein aus Liebe heiraten dürfen, sollten Homosexuelle das auch dürfen.
    3. Antwort von Julian Haas  (ProNatur)
      Dir schmeckt also dein Eis nur wenn der neben dir leer ausgeht?
    4. Antwort von Richard Meier  (meierschweiz)
      @Meyer: Ihre Frage ging nicht an mich, aber meine Ansicht ist: Ja, ein Paar soll nur heiraten, wenn es Kinder haben kann und will. Als wir heirateten, wurde uns diese Frage vom röm.kath. Priester während des Ehe-Vorbereitungsgesprächs gestellt. Die ehrliche Bejahung war Voraussetzung für die Trauung durch ihn. Das lässt sich sowohl biblisch als auch mit Blick auf die Gesetzgebung gut begründen - ganz im Gegensatz zu den lautstarken, egoistischen und zerstörerischen Forderungen nach Ehe für Alle.
  • Kommentar von Richard Meier  (meierschweiz)
    Der Artikel verleiht den Eindruck, die römisch-katholische Kirche bejahe die Ehe für Alle. Tatsächlich ist es aber nur die Äusserung einer röm.-kath. Theologin. Das ist, wie wenn ein Bankangestellter zitiert würde, der sagt, es sei schon bald vorbei mit den Negativzinsen: In beiden Fällen hat die Aussage keinerlei Verbindlichkeit, aber sie passt ins Wunschbild der Journalistin.
  • Kommentar von Jonas Sanddorn  (Sanddorn)
    Ein top -Beitrag von SRF: Genau dieses Einholen von Wissen bei Experten anstatt bei Meinungsmachern zeichnet guten Journalismus aus. Man könnte aber noch mutiger sein: «Das war eine Befreiung und ein ganz wichtiger Schritt in Richtung der Individualisierung junger Leute», sagt Susanna Burghartz. Vielleicht hat die Professorin auch gesagt, wer diesen Emanzipationsschritt protegiert hat? Das könnte man ja auch aufschreiben; vielleicht überdenken dann einige Leute ihr Geschichtsbild?
    1. Antwort von Richard Meier  (meierschweiz)
      @J.Sanddorn: Sie meinen das von wegen "Experten statt Meinungsmachern" ironisch, oder? - Sowohl Frau Prof. Burghartz als auch Theologin Birke verfolgen eine klar feministische und LGBTQI-freundliche Agenda. Ausserdem: "Sexualität ausserhalb der Ehe galt als Unzucht" wird als Zeiterscheinung der Reformation abgetan. Dass dies eine klare Aussage der Bibel ist - ganz im Sinne von sola scriptura - wird im Artikel verwischt.
    2. Antwort von Richard Meier  (meierschweiz)
      @Sanddorn: Ich gehe davon aus, dass Sie Ihren Beitrag ironisch meinen? Die befragten Expertinnen haben ihre klare Agenda, die deutlich sichtbar wird. Aber sagen Sie noch: Wer hat diesen Emanzipationsschritt protegiert? - Würde mich interessieren. Danke.