Die Schweiz ist punkto Gleichstellung im europäischen Vergleich eine Nachzüglerin. Zwar hat man den Bürgern früh unabhängig von Klassenzugehörigkeit politische Rechte zugesprochen. Frauen, jüdische Menschen, Migrantinnen und Migranten waren davon aber ausgeschlossen. Erst seit 50 Jahren dürfen Schweizerinnen überhaupt wählen. Zugewanderte ohne Pass können bis heute kaum mitreden.
Mit genau solchen Ungleichgewichten beschäftigt sich «Jetzt wählen!», eine neue Ausstellung in der Schweizerischen Nationalbibliothek. Sie gewährt Einblicke in die Geschichte der Mitsprache und zeigt, wer in der Schweiz überhaupt eine Stimme erhält.
Eine meterlange Mahnliste
Um die Schieflage zu veranschaulichen, hat Kurator Hannes Mangold den Online-Katalog der Bibliothek nach den häufigsten Vornamen von Autorinnen und Autoren durchforstet. Das Resultat: Ganz vorne stehen Hans, Peter, Paul, Rudolf oder Walter. Erst an 25. Stelle findet sich mit Elisabeth der erste Frauenname.
Wie ein Mahnmal hängt die Namensliste meterlang im Ausstellungsraum. Sie zeige, so Mangold, dass in der Schweiz vor allem diejenigen öffentliche Mitsprache erhielten, die sich auch öffentlich äussern konnten. Trotz des Stimmrechts standen Frauen gesellschaftlich und kulturell lange im Schatten der Männer.
Dass sich das änderte, ist vor allem dem Engagement kämpferischer Frauen zu verdanken. Drei davon werden in der Schau ausführlich vorgestellt. Archivfotos, Briefe, Zeichnungen und Tonaufnahmen machen ihren Einsatz für mehr Teilhabe erlebbar.
Drei Künstlerinnen im Fokus
Da ist zum einen die schweizerisch-italienische Autorin Alice Ceresa. Sie gilt als Kultautorin des italienischen Feminismus. Zum anderen rückt die Ausstellung Mariella Mehr in den Vordergrund. Die jenische Schriftstellerin kämpfte für die Rechte Entmündigter.
Mehr wuchs in Pflegefamilien und Heimen auf. Mit 18 Jahren wurde sie administrativ versorgt, also in Arbeitsanstalten gesteckt. Dies, weil sie den damaligen Moralvorstellungen nicht entsprach.
Sie sei ein Beispiel, «wie literarisches und politisches Arbeiten zusammenkommen können», erklärt Mangold. Ihre eigenen Erfahrungen hätten sie dazu bewegt, sich für entrechtete Personen einzusetzen.
Die auffälligste der drei Frauen ist jedoch Doris Stauffer. Die Künstlerin gründete 1969 zusammen mit anderen Frauen die Frauenbefreiungsbewegung. Zudem provozierte sie mit Aktionen wie den selbstgestrickten «Peniswärmern». Sie sollten, so die ironische gemeinte Idee, der Männerwelt helfen, sich im Schoss des Patriarchats noch gemütlicher einzurichten.
Beliebt waren zudem Stauffers Hexenkurse. Nur Frauen waren zugelassen. Sie sollten ihnen zu einem selbstbestimmteren Ich verhelfen. In der Nationalbibliothek lagern viele Zuschriften, die Stauffer von begeisterten Teilnehmerinnen erhielt. Sie zeugen davon, dass sie den Kurs als grosse Befreiung erlebten.
Der Ausstellung gelingt es, den Kampf der Frauen für mehr Mitsprache äusserst differenziert zu schildern. Die ästhetische Aufmachung der Schau allerdings ist wenig reizvoll. Zudem löst sie ihren Titel nicht ganz ein. Dieser verspricht nämlich einen weitaus umfassender Bogen bis hin zur Gegenwart. Den sucht man allerdings vergebens.