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Ausstellung «Jetzt wählen!» in der Schweizerischen Nationalbibliothek
Aus Kultur-Aktualität vom 03.11.2021. Bild: © Simon Schmid NB
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Geschichte der Mitsprache Nur wer kämpft, hat die Wahl

Von wegen Musterdemokratie: In der Schweiz können und konnten viele nicht mitreden. Das zeigt eine Ausstellung in Bern.

Die Schweiz ist punkto Gleichstellung im europäischen Vergleich eine Nachzüglerin. Zwar hat man den Bürgern früh unabhängig von Klassenzugehörigkeit politische Rechte zugesprochen. Frauen, jüdische Menschen, Migrantinnen und Migranten waren davon aber ausgeschlossen. Erst seit 50 Jahren dürfen Schweizerinnen überhaupt wählen. Zugewanderte ohne Pass können bis heute kaum mitreden.

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Aus dem Archiv: Der lange Weg zum Frauenstimmrecht
Aus 10 vor 10 vom 28.01.2021.
abspielen. Laufzeit 11 Minuten 39 Sekunden.

Mit genau solchen Ungleichgewichten beschäftigt sich «Jetzt wählen!», eine neue Ausstellung in der Schweizerischen Nationalbibliothek. Sie gewährt Einblicke in die Geschichte der Mitsprache und zeigt, wer in der Schweiz überhaupt eine Stimme erhält.

Eine meterlange Mahnliste

Um die Schieflage zu veranschaulichen, hat Kurator Hannes Mangold den Online-Katalog der Bibliothek nach den häufigsten Vornamen von Autorinnen und Autoren durchforstet. Das Resultat: Ganz vorne stehen Hans, Peter, Paul, Rudolf oder Walter. Erst an 25. Stelle findet sich mit Elisabeth der erste Frauenname.

Wie ein Mahnmal hängt die Namensliste meterlang im Ausstellungsraum. Sie zeige, so Mangold, dass in der Schweiz vor allem diejenigen öffentliche Mitsprache erhielten, die sich auch öffentlich äussern konnten. Trotz des Stimmrechts standen Frauen gesellschaftlich und kulturell lange im Schatten der Männer.

Dass sich das änderte, ist vor allem dem Engagement kämpferischer Frauen zu verdanken. Drei davon werden in der Schau ausführlich vorgestellt. Archivfotos, Briefe, Zeichnungen und Tonaufnahmen machen ihren Einsatz für mehr Teilhabe erlebbar.

Drei Künstlerinnen im Fokus

Da ist zum einen die schweizerisch-italienische Autorin Alice Ceresa. Sie gilt als Kultautorin des italienischen Feminismus. Zum anderen rückt die Ausstellung Mariella Mehr in den Vordergrund. Die jenische Schriftstellerin kämpfte für die Rechte Entmündigter.

Frau Ende 30 mit Kurzhaarschnitt schaut in Kamera
Legende: Kämpfte für die Rechte Entmündigter: Autorin Mariella Mehr im Jahr 1984. © Fredi Lerch, © SLA/NB

Mehr wuchs in Pflegefamilien und Heimen auf. Mit 18 Jahren wurde sie administrativ versorgt, also in Arbeitsanstalten gesteckt. Dies, weil sie den damaligen Moralvorstellungen nicht entsprach.

Sie sei ein Beispiel, «wie literarisches und politisches Arbeiten zusammenkommen können», erklärt Mangold. Ihre eigenen Erfahrungen hätten sie dazu bewegt, sich für entrechtete Personen einzusetzen.

Die auffälligste der drei Frauen ist jedoch Doris Stauffer. Die Künstlerin gründete 1969 zusammen mit anderen Frauen die Frauenbefreiungsbewegung. Zudem provozierte sie mit Aktionen wie den selbstgestrickten «Peniswärmern». Sie sollten, so die ironische gemeinte Idee, der Männerwelt helfen, sich im Schoss des Patriarchats noch gemütlicher einzurichten.  

Frau in ihren Vierzigern sitzt an Esstisch und schaut in Kamera, Schwarzweissaufnahme
Legende: Provozierte mit selbstgestrickten «Peniswärmern»: Künstlerin Doris Stauffer, etwa 1978 © ProLitteris, © Foto: Simon Schmid NB

Beliebt waren zudem Stauffers Hexenkurse. Nur Frauen waren zugelassen. Sie sollten ihnen zu einem selbstbestimmteren Ich verhelfen. In der Nationalbibliothek lagern viele Zuschriften, die Stauffer von begeisterten Teilnehmerinnen erhielt. Sie zeugen davon, dass sie den Kurs als grosse Befreiung erlebten.

Blick in Museumsausstellung: Schaukasten mit Druckerzeugnissen, Bilder sowie Kleidungsstücke an der Wand
Legende: Die ästhetische Aufmachung der Ausstellung ist wenig reizvoll. © Simon Schmid NB

Der Ausstellung gelingt es, den Kampf der Frauen für mehr Mitsprache äusserst differenziert zu schildern. Die ästhetische Aufmachung der Schau allerdings ist wenig reizvoll. Zudem löst sie ihren Titel nicht ganz ein. Dieser verspricht nämlich einen weitaus umfassender Bogen bis hin zur Gegenwart. Den sucht man allerdings vergebens.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Jetzt wählen! Über das Recht auf eine Stimme» ist bis am 14. Januar 2022 in der Schweizerischen Nationalbibliothek zu sehen.

SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 03.11.2021, 08:15 Uhr.;

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