Die «Höhenklinik Allerheiligenberg» ist an schönster Lage an einen Südhang im Solothurner Jura gebaut. Auf 900 Meter Höhe bietet sie einen grandiosen Ausblick aufs Mittelland und auf die Alpen.
Doch die Klinik ist seit zehn Jahren geschlossen. Von Spuren des Zerfalls gezeichnet steht das verlassene Gebäude da. Es erinnert an eine der tödlichsten Infektionskrankheiten, die vor mehr als 100 Jahren auch in der Schweiz gewütet hat: Tuberkulose.
Armut als Nährboden
«Tuberkulose war immer eine Krankheit der Armen», sagt Lukas Fenner. Der Epidemiologe ist seit 2017 Solothurner Kantonsarzt. Vorher hat er in Tansania wissenschaftliche Feldstudien zu den Übertragungswegen von Tuberkulose durchgeführt.
Auch über die Geschichte von TB in der Schweiz hat Fenner geforscht. «Ärmliche Verhältnisse, wie man sie heute etwa in der tansanischen Grossstadt Daressalam sieht, geben Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten den Boden», sagt Lukas Fenner.
«Diese Armut gab es vor 100, 150 Jahren auch in der Schweiz.» In den Arbeitersiedlungen wie etwa dem Berner Mattenquartier lebten die Menschen beengt und unhygienisch. In solchen Verhältnissen hatten TB-Bakterien ein leichtes Spiel, sich zu verbreiten.
Jeder zehnte Todesfall ging auf Tuberkulose zurück – in manchen Regionen sogar jeder sechste. Kinder und Jugendliche traf es dabei besonders schlimm.
Therapeutisches Sonnenbaden
Medikamente gegen die «Auszehrung» oder «Schwindsucht», wie die Krankheit im Volksmund hiess, gab es keine. Trotzdem konnte man die Tuberkulose behandeln. Und manchmal sogar heilen: mit einer Höhen- oder Liegekur an der freien Luft.
1868 gründete der Mediziner Alexander Spengler in Davos das erste Kurhaus für Lungenkranke. Darauf entstanden im Hochgebirge eine ganze Reihe von luxuriösen Lungensanatorien.
Etwa das Kurhaus «Schatzalp» in Davos, das Thomas Mann zu seinem berühmten Roman «Der Zauberberg» inspirierte.
Heilung für alle Schichten
Eine Höhenkur in solcher Sphäre konnten sich allerdings nur die Reichen leisten. Für arme TB-Patienten gab es kaum Behandlungsmöglichkeiten – bis um das Jahr 1900 die ersten sogenannten Volkssanatorien eröffnet wurden. Nun konnten auch Unbemittelte zur Höhenkur.
Ein solches Volkssanatorium war auch die «solothurnische Heilstätte für Lungenkranke» auf dem Allerheiligenberg, errichtet 1910 von der Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons.
Grösster Geldgeber war Arthur Bally, Sohn des damals weltgrössten Schuhfabrikanten im solothurnischen Schönenwerd. Bally vermachte dem «Allerheiligenberg» mehr als eine halbe Million Franken – eine ungeheure Summe für die damalige Zeit.
Antibiotika waren die wirksamere Waffe
Die Höhenkur war keine spezifische Therapie. Sie kurbelte höchstens die Selbstheilungskräfte an. «Trotzdem nahmen die Tuberkulosefälle im Lauf der Jahrzehnte ab», sagt Infektiologe Lukas Fenner.
Die hygienischen Verhältnisse waren besser, die Wohnungen grösser und heller geworden. In den 1950er-Jahren begann man, TB mit Antibiotika zu behandeln. «Monatelanges Kuren war medizinisch nicht mehr zu rechtfertigen», so Fenner.
Manche Sanatorien wurden geschlossen, andere wurden zu Hotels umgewandelt oder waren fortan Reha-Kliniken. Und manche dieser Häuser sind erst nach jahrzehntelangem Kampf gescheitert.
Zu ihnen zählt der «Allerheiligenberg»: Eine Zeit lang «Mehrzwecksanatorium», später Höhenklinik, verlor das abgelegene Gebäude 2010 nach der dritten Volksabstimmung seinen Daseinszweck.
Seither sucht der Kanton Solothurn einen Käufer. Bisher ohne Erfolg.