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Zwei Mädchen umarmen sich im Klassenzimmer.
Legende: Kindergärten und Schulen sollen nachhaltiges Denken und Handeln vermitteln – ein primäres Zukunftsziel der UNESCO. Reuters

Gesellschaft & Religion 70 Jahre UNESCO – 70 Jahre Werte, an die sich kaum einer hält

Die Kultur- und Bildungsorganisation der Vereinten Nationen wird 70. Stets hielt sie Werte hoch wie Solidarität, Moral und Humanismus – aber die gerieten zunehmend unter Druck. Schuld seien Rassismus, Intoleranz und Abkapselung, sagt Jean-Bernard Münch, UNESCO-Kommissionspräsident der Schweiz.

Bereits 1949, vier Jahre nach der Gründung der UNESCO, wurde auch die Schweiz Mitglied. Das erstaunt, wenn man bedenkt, dass sie sonst eher zögerlich war im Hinblick auf die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. Warum so früh?

Zur Person

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Ein Mann mit weissem Haar, Brille und markanten dunkelgrauen Augsbrauen.
Legende: Keyston

Als Präsident der Schweizer UNESCO-Kommission (seit 2012) verfolgt Jean-Bernard Münch das Ziel, «ein echtes Netzwerk zur Förderung und Verbreitung der Werte und Ziele der UNESCO auf­zubauen und zu pflegen.» Von 2002 bis 2011 amtete der promovierte Politikwissenschaftler als Präsident des SRG-Zentralrates. Münch wurde 1943 in Genf geboren.

Jean-Bernard Münch: Die Werte der UNESCO spielten eine wesentliche Rolle. In der Gründungsurkunde steht: Frieden muss, wenn er nicht scheitern soll, in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert werden. Die UNESCO vertritt sehr viele Werte, die auch die Schweiz kennt, etwa Toleranz, Gerechtigkeit und die Achtung der Menschenrechte. Oder anders gesagt: Die UNESCO-Werte sind die Schweizer Werte.

Die in der UNESCO-Gründungsurkunde verankerten Werte sind in letzter Zeit weltweit unter Druck geraten, auch in der Schweiz. Was tut die UNESCO, um diese wieder zu stärken?

Nicht nur Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben in den letzten Jahren weltweit zugenommen, sondern auch Intoleranz, Selbstbezogenheit und sogar Abkapselung – das betrifft vor allem gewisse politische Parteien der Schweiz. Ausserdem kommt es vermehrt zur Ablehnung der kulturellen Vielfalt und zur Verneinung des Vorrangs des Völkerrechts vor nationalem Recht. Das sind sehr schlechte Nachrichten für die Schweiz. Darum müssen wir uns wirklich bemühen, die UNESCO-Werte nochmals zu erklären und dafür zu kämpfen.

Inzwischen hat die UNESCO 195 Mitglieder. Viele Länder nehmen es mit der «geistigen und moralischen Solidarität» nicht so genau, auch die Schweiz nicht. Was kann die UNESCO konkret tun, wenn die Mitgliederländer nicht spuren?

Wenn die Delegierten der Länder mit lächelnden Gesichtern in Paris sitzen, verneinen sie, dass sie diese Werte nicht respektieren und wollen alles gut machen. Das ist der Beweis, dass sie sich schuldig fühlen. Doch man kann etwas tun: Staaten, die die Werte respektieren wollen, können Druck ausüben.

Die UNESCO

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Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation ist ein weltweites Forum für intellektuelle Zusammenarbeit. Ausserdem taugt sie dem Austausch von Informationen, Erfahrungen und Ideen. Gegründet wurde die UNESCO 1945 von 37 Unterzeichnerstaaten in London. Die Schweiz trat 1949 bei.

Dennoch möchte ich die Frage umkehren: Wer würde sich darum kümmern, wenn es die UNESCO nicht gäbe? In anderen Worten: Je schlimmer die Situation, desto wichtiger die UNESCO.

Wo sehen Sie für die UNESCO in den kommenden Jahren die Schwerpunkte?

Die UNESCO muss vor allem einen Beitrag leisten zum Gesamtprogramm der UNO über die nachhaltige Entwicklung, das ist ein sehr vielschichtiges Thema. Die UNESCO ist wichtig in Bezug auf Bildung und Kultur. Aber auch der Kampf für die Erhaltung der UNESCO-Werte wird ein Thema sein. Ich bin sicher: Nach den Attentaten in Paris wollen die Regierungen endlich etwas unternehmen – und die UNESCO wird das mittragen.

Sendung: Radio SRF2 Kultur, Kultur kompakt, 16.11.2015, 16:45 Uhr.

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