Die Innovation kam in Andermatt meist von aussen: Es war der Teufel, der den Talbewohnern die Brücke über die stiebende Schöllenen-Schlucht baute – und den sie hernach mit dem Geissbock austricksten.
1707 sprengte der Ingenieur Moretti durch das Urner Loch den ersten Alpentunnel in Europa. Später setzte sich während der Réduit-Epoche hundert Jahre lang das Militär ungefragt in Andermatt fest und bescherte dem Bergdorf einen ebenso bequemen wie konstanten Wohlstand.
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Und jetzt küsst ein ägyptischer Investor das Dorf mit seinem leicht verstaubten Charme in die touristische Gegenwart: 2005 fliegt ein Helikopter über das Urserental. Mit an Bord ist Samih Sawiris, ein Touristik-Investor aus Kairo. Als ich ihn acht Jahre später frage, wie lange er für seinen Entschluss brauchte, um in Andermatt ein 1,7 Milliarden-Projekt zu starten, meinte er: «Zwei Minuten!»
Immerhin atmeten die Einheimischen auf, als sie erfuhren, dass es sich bei ihrem charmanten Investor nicht um einen Muslim handelt. Sawiris ist Christ – zwar ein koptischer –, der dank seiner Studienzeit in Berlin fliessend Deutsch spricht.
Sawiris will aus Andermatt eine Oase für Wohlbetuchte machen. Der Prunkstein seines Projekts, das Hotel Chedi geht Ende 2013 in Betrieb, ein Golfplatz erstreckt sich idyllisch in Richtung Hospenthal. Wird da ein lokaler Berglerstamm mit einer globalisierten Schickeria konfrontiert? Entsteht ein neues «Durcheinandertal», um mit Dürrenmatt zu sprechen? Mitnichten.
Eine seltsame Lust in der Bergbauern-Brust
«Vater, ist’s wahr?», fragt bei Schiller der kleine Walterli seinen Vater Wilhelm Tell. Wahr ist, dass die Urner längst schon keine Säumer, Viehhüter und bärtige Helden mehr sind. Zwar mussten einige Bauernbetriebe dem Sawiris-Projekt weichen. Das war eine willkommene Gelegenheit für eine wenig analytische Schweizer Presse, die Geschichte als Bauernsterben und Verrat an der heimischen Scholle im Urserental zu kolportieren.
Tatsache ist: In Andermatt gab und gibt es nur noch eine Handvoll Bauern. Diejenigen, die Land abgeben mussten, wurden vom integren und sensibel vorgehenden Sawiris grosszügig entschädigt.
«Machen Sie es wie die Urner. Widerstehen Sie allem. Nur nicht der Versuchung.» So heisst es in der offiziellen Touristenwerbung des Kantons Uri. In der Tat, der Grossinvestor hat eine seltsame Lust in der sonst so bedächtig abwägenden Bergbauern-Brust entfacht. Das Dorf selber ist dank dem Sawiris-Effekt nicht mehr wiederzuerkennen: Hotels, Läden, Appartementhäuser sind entstanden. Das Selbstbewusstsein der Einheimischen hat sich gefestigt.
Sawiris, einer der unseren
Und der Investor selber? Er erfreut sich an dem, wie er selber sagt, «schönsten Hotel in den Alpen», dem Chedi. Eines der ersten Wörter, das Sawiris lernen musste, war «harzig»: eine Vokabel, die wir Eidgenossen gerne und oft gebrauchen, die aber so gar nicht zu der spontanen Art des Ägypters passt. Inzwischen hat er sich bestens an die Schweizer Mentalität angepasst. Oftmals stellen die Journalisten ihre Fragen an Sawiris wie selbstverständlich in Mundart. Der Investor ist einer der Unseren geworden.
Andermatt steht dank Sawiris vor einer neuen Ära. Und vor der Aufgabe, sich neu zu erfinden. Mit demokratischem Mehr hat die Bevölkerung damals dem Pakt mit dem Investor zugestimmt. Gut möglich, dass dieser für beide Seiten aufgeht.